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Polen: Vorwürfe gegen Messefirma

Im Dach der eingestürzten polnischen Halle soll es schon vor Jahren Risse gegeben heben: Nun neue Vorwürfe gegen die Messefirma erhoben. Bisher wurden 62 Opfer gezählt.

Drei Tage nach dem tragischen Halleneinsturz im oberschlesischen Kattowitz (Katowice) mit mindestens 64 Toten wurden immer neue Vorwürfe gegen die Messefirma laut. Der Leichtmetallbau aus dem Jahr 2000 hatte nach Angaben ehemaliger Mitarbeiter schon im Jahr 2002 bauliche Schäden aufgewiesen.

„Wir sind geflohen, als plötzlich Schrauben herunterstürzten“, sagte einer von ihnen der Zeitung „Rzeczpospolita“. Bei der Vorbereitung auf eine Messe seien Risse im Hallendach, das von Schnee bedeckt war, entdeckt worden.

Damals seien zusätzliche Metallstützen eingebaut worden. Schon am Eröffnungstag der in Eile erbauten Halle sei Wasser durch die Decke eingedrungen, sagte ein anderer ehemaliger Mitarbeiter der „Gazeta Wyborcza“.

Bei der Beseitigung der Trümmer entdeckten die Einsatzkräfte am Dienstag zwei weitere Leichen. Die Zahl der Toten stieg damit auf 64, unter ihnen auch Ausländer. Um das Leben eines der mehr als 140 Verletzten kämpfen die Ärzte noch.

Für die Opfer sind in den kommenden Tagen Trauerfeiern geplant. Ob es eine gemeinsame Totenmesse für alle Opfer gibt, werde derzeit noch mit den Angehörigen diskutiert, berichtete der Rundfunk.

Inmitten der Aufräumarbeiten machten sich am Dienstag auch Gutachter daran, nach der Ursache für den Einsturz des Daches zu suchen. Zwei Gruppen von Technikern und Wissenschaftern versuchten, sich durch das fast undurchdringliche Gemenge aus zerrissenen Kabeln, geborstenen Stahlteilen und zerstörten Messeständen zu arbeiten. Bereits am Montag hatte eine Untersuchungskommission von Staatsanwälten, Polizei und Feuerwehr ihre Arbeit aufgenommen.

Bauexperten überprüfen nun mögliche Konstruktionsfehler oder möglichen Materialverschleiß. Bislang wird vermutet, dass die Tonnen schwere Schneedecke auf dem Dach der Leichtmetallkonstruktion die Katastrophe zumindest auslöste. Als nahezu sicher gilt, dass schwere Sicherheitsmängel zur Tragödie beitrugen und die Notausgänge verschlossen waren. Die flüchtenden Hallenbesucher verloren wahrscheinlich wertvolle Zeit, weil sie die Türen gewaltsam einschlagen mussten.

Familien wütend über Sicherheitsmängel-Berichte

Wenn Helmut Soppa den Kühlschrank öffnet, sieht er die Geburtstagstorte. Sieben Jahre alt wäre sein Enkel Tomek am Sonntag geworden. Doch Tomek starb einen Tag vor seinem Geburtstag in der einstürzenden Messehalle in Kattowitz, zusammen mit Gabriela und Jan Knosal, Soppas Tochter und Schwiegersohn. Als einziger überlebte der achtjährige Marek. Er stand einige Meter von seiner Familie entfernt, die einen Taubenkäfig in Augenschein nehmen wollte.

Als die Decke einstürzte, entschieden diese Meter über Leben und Tod. Ein Polizist packte Marek, zog ihn aus der Halle. Das Bild ging um die Welt, und erst allmählich begreift der Bub, dass er nun nur noch seine 19-jährige Schwester Ewa und die Großeltern hat. Das in allen Medien geschilderte Schicksal des Kindes rührt die Polen. Drei Tage nach der Katastrophe bekommen die Toten für die Öffentlichkeit ein Gesicht, eine Geschichte, die am Samstag um 17.15 Uhr plötzlich endete.

Trauer, Mitgefühl und Solidarität prägen das ganze Land, immer wieder erhalten die Mitarbeiter des Krisenstabs Anrufe von Menschen, die helfen wollen, irgendwie. Mehr als tausend Menschen im ganzen Land haben Blut gespendet. Taubenzüchter studieren in den Krankenhäuser die Listen der Verletzten, besuchen Patienten und versuchen ihnen Mut zuzusprechen. Die Vorbereitungen für die ersten Beerdigungen der mehr als 60 Opfer haben begonnen, zugleich gibt es Überlegungen für eine gemeinsame Totenmesse für alle Opfer.

Doch noch immer gelten fünf Menschen als vermisst, sind nicht alle der zum Teil schrecklich entstellten Toten identifiziert. Erst am Dienstag fanden die Helfer bei Aufräumarbeiten in der Halle zwei weitere zerquetschte Leichen. Immer neue Berichte über gravierende Sicherheitsmängel und womöglich Fahrlässigkeit am Bau mischen Wut in die Trauer. „Sagt den Familien die Wahrheit!“, forderte die Zeitung „Nowy Dzien“ am Dienstag die Messefirma in Kattowitz (Katowice) auf.

Die Hallenbetreiber versicherten bereits am Tag nach der Katastrophe, sie wollten in vollem Umfang mit der Untersuchungskommission zusammenarbeiten. Das Dach sei seit den ersten Schneefällen im Dezember regelmäßig von Schnee geräumt worden, erklärten sie. Doch die mehr als zehn Zentimeter dicken Eisblöcke vom Dach, die Justizminister Zbigniew Ziobro zu einer Pressekonferenz brachte, lassen das Gegenteil vermuten.

„Probleme gab es bei jedem Wetter“, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der Zeitung „Rzeczpospolita“. Ein anderer berichtete, die Decke sei schon am Eröffnungstag der zu schnell und hastig gebauten Messehalle undicht gewesen. Zusätzlich eingebaute Stützpfeiler sollten der Konstruktion Halt geben, nachdem bereits 2002 Risse am schneebedeckten Dach der damals erst zwei Jahre alten Halle entdeckt worden seien.

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