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"Plastic Planet": Auf den Spuren von Kunststoff und Michael Moore

Werner Boote (re.) in einer Welt aus Plastik.
Werner Boote (re.) in einer Welt aus Plastik. ©Thomas Kirschner
Der österreichische Dokumentarfilmer Werner Boote beäugt in seinem Film die Auswüchse der Plastikindustrie – ganz im Sinne von Michael Moore. Dabei wartet er mit erschreckenden Erkenntnissen auf.

Werner Boote ist “ein Kind des Plastikzeitalters”, sein Alltag ist ohne vollsynthetische Produkte auf Erdölbasis kaum vorstellbar. Er ist aber auch der Enkel des früheren Geschäftsführers der deutschen Interplastik-Werke. Wenn sich der Wiener auf eine filmische Reise rund um den “Plastic Planet” begibt, wird aus seiner aufklärerischen Dokumentation unversehens auch ein Familienfilm. “Opa hat nicht wissen können, wie gefährlich Plastik ist”, glaubt Boote. “Plastic Planet” feiert am Dienstag, den 15. September, im Wiener Gartenbaukino seine Premiere, gefolgt von einer Diskussion. Und Diskussionsstoff liefert der Film genug.

Neben den in “Plastic Planet” aufgeworfenen zahlreichen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen könnte man etwa darüber diskutieren, ob dieser Film ohne Michael Moore überhaupt denkbar wäre. Denn Boote, der zehn Jahre an seinem Thema recherchiert, sechs Jahre den Film vorbereitet und vor vier Jahren erste Dreharbeiten dazu absolviert hat, bedient sich unverhohlen der Methode des umstrittenen US-Filmers. Scheinbar ganz naiv und liebenswert wie Fozzie Bär erscheint er ständig selbst im Bild, die Verkörperung des Normalverbrauchers, der nur eben mal ein paar Fragen stellen möchte.

Das führt mitunter zu Verwechslungen wie in einer asiatischen Fabrik, als dem vermeintlichen Großkunden aus Europa erst während des Betriebsbesuchs auf die investigativen Schliche gekommen wird, oder zum Dreschen üblicher PR-Phrasen wie bei John Taylor, dem mächtigen Präsidenten von PlasticEuropa, der Dachorganisation europäischer Kunststofferzeuger. Als Boote, von Taylors gewinnendem Lächeln zu wenig überzeugt, mit mehreren Dutzend kritischer Studien anrücken möchte, hat der Lobbyist leider keine Zeit. Also reist ihm der Filmemacher, die Studien im Roll-Köfferchen, auf die Plastik-Messe nach und hat dort einen denkwürdigen Auftritt.

Werner Boote (1965 geborener Wiener, der bisher vor allem Polit- und Musik-Dokus gedreht hat), ist praktisch um die halbe Welt gereist, hat Wissenschafter und Politiker besucht, lässt einen japanischen Künstler einen “Miniatur Werner” aus Kunststoff formen und ein animiertes Alter Ego in Zeichentrick-Sequenzen agieren. Er fasst sein Thema bewusst weit und interviewt einen plastischen Chirurgen, der die reichen Damen in Hollywood mit Silikon-Brüsten und anderen Implantaten versorgt, ebenso wie den deutschen “Plastinator” Gunther von Hagens. Er beteiligt sich an Küsten-Säuberungsaktionen und lässt sich auf einem Alpengipfel von einem Umweltanalytiker über die Inhaltsstoffe jenes Plastikglobus aufklären, den er in die luftige Höhe mitgebracht hat.

Trotz all’ dieser Bemühungen, das Thema so griffig und unterhaltsam wie möglich aufzuarbeiten, vermisst man ein einprägsames Bild: Den etliche Quadratkilometer großen, auf dem Nordpazifik schwimmenden Teppich an vielen Millionen Tonnen Plastikmüll zeigt Boote nicht. Dafür besucht er dessen Entdecker Charles Moore auf einem kleinen Schiff und lässt sich demonstrieren, was auf offenem Meer so im Schleppnetz hängen bleibt: jede Menge winziger Plastikreste nämlich, die von Vögeln und Fischen für Nahrung gehalten werden und ihre Eingeweide verstopfen oder aufschlitzen. Aber auch sonst wird immer wieder mit dem Märchen aufgeräumt, dass Plastik ein beständiger Stoff sei, der sich nicht verändere. Was die Kunststoffe an konkreten Schadstoffen abgeben, hängt von ihren Rezepturen ab. Die sind jedoch streng geheim und werden nicht einmal den industriellen Kunden bekanntgegeben, für deren Produkte das angelieferte Plastik verwendet wird.

Das zählt zu den erschreckendsten Erkenntnissen, die man aus “Plastic Planet” mitnimmt, und erstaunt registriert man, wie ohnmächtig selbst eine EU-Kommissarin gegen die globale Macht der Plastikindustrie wirkt. Am Ende steht Werner Boote, der Don Quichotte der Plastikwelt, mit seiner Mutter am Friedhof und besucht seinen Großvater, der das alles bestimmt nicht gewollt haben kann: “Ich bin froh, dass am Grab vom Opa wenigstens keine Plastikblumen mehr stehen.”

http://www.plastic-planet.at

Galapremiere von “Plastic Planet”, Dienstag, 15.9., 20 Uhr, im Gartenbaukino Wien. Im Anschluss an die Vorführung findet eine Diskussion statt, Moderation: Corinna Milborn.

Österreich-Start am 18.9.

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