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Pavillon für Mensch und Pferd

Longierzirkel: Vier massive Wandscheiben auf einer Bodenplatte tragen das mächtige Dach.
Longierzirkel: Vier massive Wandscheiben auf einer Bodenplatte tragen das mächtige Dach. ©Cyril Müller
Rankweil. Reduziert, funktionell, freundlich. Die nicht alltägliche Bauaufgabe einer Pferdepraxis findet in Rankweil eine Umsetzung als zeitgenössische Form des klassischen Rheintalhauses mit Wohn- und Wirtschaftstrakt.
Bilder: Pferdepraxis Griss

Zuletzt in einer großen Pferdeklinik in Ostfriesland tätig, kam Tierarzt Robert Griss nach längerer Zeit im Ausland vor einigen Jahren wieder zurück nach Vorarlberg. Von Anfang an bestand die Idee, hier eine eigene Praxis zu eröffnen. Mit dieser eher ungewöhnlichen Bauaufgabe trat der auf Pferde spezialisierte Veterinär an das Architekturbüro Marte. Marte heran: eine Pferdepraxis mit Wohnung. „Zunächst hatte ich angenommen, dass ein prominentes Büro wie Marte. Marte so ‚kleine‘ Projekte nicht annehmen würde“, erzählt der Bauherr. Ganz im Gegenteil! Bei einem Telefonat bekundete Architekt Bernhard Marte ihm großes Interesse: „Eine Pferdepraxis ist ein sehr reizvolles Thema. Wahrscheinlich plant man so etwas nur einmal in seinem Leben.“ Gesagt, getan. Der Bauherr informierte die Architekten über die erforderlichen Funktionen und gesetzlichen Vorgaben für Raumgrößen und –höhen bei Pferdeeinrichtungen. 14 Tage später legten Marte. Marte ihr erstes Konzept vor. Robert Griss war von Beginn an von der starken Idee überzeugt: „Im Prinzip wurde schließlich genau so gebaut, wie der erste Entwurf war.“ Auch die Kostenschätzung war erfreulicherweise eine „volle Punktlandung“: bei der Schlussabrechnung lag man 0,3 Prozent unter dem veranschlagten Budget.

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1_1_marte-marte-pferdepraxis-desat-2-19 ©Marc Lins, New York

Auf dem Grundstück am Siedlungsrand von Rankweil planten die Architekten ein eingeschoßiges, flächiges Gebäude als Übergang zum unbebauten Naturraum. Der schlichte Pavillonbau auf einer Grundfläche von 27 mal 19 Metern erlaubt, dass sämtliche Funktionen strukturiert auf einer Ebene Platz finden. „Wir wollten den Siedlungsrand mit einem starken Gebäude besetzen. Die Idee eines großen Daches, unter dem alles stattfinden kann, hat den Entwurf stark geprägt. Eine eindeutige Trennung der einzelnen Bereiche war uns sehr wichtig. Nun ist alles unter einem Dach, aber trotzdem gibt es ganz eigenständige Nutzungseinheiten“, erklärt Bernhard Marte. Typologisch gesehen orientiert sich das Gebäude am klassischen Rheintalhaus mit Stall, Tenne und Wohntrakt. „Was uns sehr gut an der Bauaufgabe gefallen hat, ist die Kombination von Wohnen und Arbeiten. Die traditionellen Rheintalhäuser haben immer vorne einen Wohnteil und hinten einen Wirtschaftsteil. Dieses Gebäude ist eigentlich genau nach dem Prinzip aufgebaut“, erklärt der Architekt. Zwischen Wohnung und Pferdepraxis gibt es einen überdachten Freiraum, der als Autounterstellplatz, Heu- und Mistlager genutzt wird. Die durch den Zwischentrakt klar abgetrennten Nutzungseinheiten werden durch das gemeinsame Dach zusammengehalten und bilden ein Ganzes. Vier massive Wandscheiben auf einer Bodenplatte tragen das mächtige Dach. Zwischen den konstruktiven Stahlbetonbau- teilen wird die Fassade aus Holzrahmenelementen gebildet. Die Lattung aus unbehandeltem Holz harmoniert gut mit dem grob geschalten Sichtbeton – wirkt elegant und authentisch zur gleichen Zeit.

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2_2-klein_VAI_PferdepraxisGrissRankweil_Cyril_PM_5671 ©Tierarzt Robert Griss blickt auf eine stressfreie und problemlose Bauzeit zurück. Mehrfach wird von beiden Seiten die angenehme und vertrauensvolle Zusammenarbeit betont. Foto: Cyril Müller

Über ein breites Schiebetor an der Nordost-Seite des Gebäudes gelangen die Tiere in die Praxis. Die Ordination selbst besteht aus einem großen zentralen Behandlungsraum, um den alle weiteren Bereiche angeordnet sind: Büro mit Apotheke und Labor, Operationsraum mit Narkose- und Aufwachraum, sowie drei Pferdeboxen. Nach Westen geöffnet, können die Tiere in die Wiesenlandschaft hinausblicken. Vorgelagert sind dem Gebäude an dieser Stelle eine asphaltierte Vortrabbahn und ein Longierzirkel. Die knapp 100 m2 große, nach Südwesten ausgerichtete Wohneinheit besitzt einen großen, mittig gelegenen Wohn-Essraum, eine kleine Küche, Bad, Schlafzimmer und ein separates Fernsehzimmer. Der Wohnraum öffnet sich über raumhohe Verglasungen mit Schiebe- türen zur freien Natur. Mit Blick auf die Landschaft meint Bernhard Marte: „Wie man sieht, muss man nicht unbedingt am Hang wohnen, um eine gigantische Aussicht zu haben.“ Boden- und Deckenplatte ragen über die Fassadenlinie hinaus, wodurch eine geschützte Terrasse entsteht. Diese wird durch einen leichten Niveauunterschied zum Gelände definiert und bildet einen Sockel für den Pavillon.

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2_5-gross_VAI_PferdepraxisGrissRankweil_Cyril_PM_5780 ©Die im Verhältnis eher kleinen Wohnräumlichkeiten profitieren sehr von der besonderen Raumhöhe von 3,80 Metern. Raumhohe Schiebetüren aus Weißtanne trennen Küche und Vorraum von dem großen Wohnraum ab. Foto: Cyril Müller

Genauso reduziert und unaufgeregt wie das Äußere geben sich auch die Innenräume des Gebäudes. Beinahe sämtliche Fußböden und Wandflächen sowie Türen und mehrere Möbel sind aus Weißtanne. Sie wirken warm und weich und bilden einen angenehmen Kontrast zu den kühleren und gröberen Sichtbeton- oberflächen. Die Raumhöhe von 3,80 Metern, die sich dadurch ergibt, dass die narkotisierten Pferde mit einem Kran auf den Operationstisch gehoben werden müssen, zieht sich im gesamten Gebäude durch, auch in den Wohnräumlichkeiten.

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2_7_marte-marte-pferdepraxis-desat-2-30 ©Der Narkose- und Aufwachraum ist schwarz ausgepolstert, sodass weder visuelle noch auditive Reize während der Narkose bzw. in der Aufwachphase stören. Foto: Marc Lins, New York

Verdienterweise wurde die Pferdepraxis bereits mit zwei internationalen Architekturpreisen ausgezeichnet: dem „Iconic Award“ 2015 und dem „best architects 16 Award“. Und die Pferde fühlen sich hier scheinbar so wohl, dass sie gar nicht mehr weg wollen: „Es ist auffallend, dass wir am meisten Probleme damit haben, die Pferde zum Verladen wieder hinaus zu bekommen“, berichtet Robert Griss.

»“Das Spannende war die Auseinandersetzung mit der besonderen Nutzung und das Kennenlernen der Bedürfnisse von Pferden und deren Ärzten.” (Bernhard Marte, Architekt)«

Daten & Fakten

Objekt: Pferdepraxis Griss, Rankweil
Eigentümer/ Bauherr: Robert Griss, Rankweil
Architektur: Marte.Marte Architekten, Weiler
Statik: Frick & Schöch, Rankweil
Ingenieure /Fachplaner: Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach; Elektroplanung: Hartmann Elektro, Götzis; Heizung-Klima-Lüftung-Sanitär: Stolz, Feldkirch

Planung: 10/2012–4/2014
Ausführung: 6/2013–5/2014
Grundstücksgröße: 1193 m²
Gesamtgeschoßfläche: 304 m²
Wohnnutzfläche: 94 m²

Bauweise: Mischbauweise Stahlbeton/Holz; Bodenplatte und Dachkonstruktion in Stahlbeton mit Holzrahmenwand- elementen (Fichte); Innenausbau und Fußböden: Weißtanne; Holzfens-ter; Heizung: Luftwärmepumpe

Besonderheiten: Pferdepraxis mit Behandlungs- und Operationsraum, drei Pferdeboxen, Apotheke, Büro, Labor und Wohn- einheit für Tierarzt

Ausführung: Baumeister: Thöni Hoch- und Tiefbau, Bludenz; Zimmermann: Nesensohn Holzbau, Rankweil; Elektro: Hartmann Elektro, Götzis; Spengler: Entner-Dach, Rankweil; Fenster: Hartmann Fenster-bau, Nenzing; Installateur: Markus Stolz, Feldkirch

Energiekennwert: Wohnbereich: 47 kWh/m² im Jahr Praxis: 84 kWh/m² im Jahr

Für den Inhalt verantwortlich:
Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der “Vorarlberger Nachrichten”

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