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Osborne weist Ruf nach raschem EU-Austritt zurück

Briten spielen auf Zeit.
Briten spielen auf Zeit. ©AFP
Nach dem Votum der Briten für den Brexit hat Finanzminister George Osborne Forderungen zurückgewiesen, nun auch rasch der EU den formellen Austrittsantrag vorzulegen. Die britische Regierung könne das Verfahren gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags erst "auslösen", wenn sie dazu bereit sei und "klare Vorstellungen" über den weiteren Weg habe, sagte er am Montag kurz vor Öffnung der Londoner Börse.
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EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat demgegenüber erneut auf einem schnellen formellen EU-Austrittsantrag Großbritanniens bestanden. Die britische Regierung muss nun zügig den Wählerwillen umsetzen und darf den Prozess des Austritts nicht künstlich in die Länge ziehen. “Da darf es kein Zögern und Zaudern geben”, sagte Schulz der Zeitung “Ruhr Nachrichten” (Montag).

Briten machen sich keinen Stress

“Nur das Vereinigte Königreich kann Artikel 50 auslösen”, sagte der Konservative Osborne in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme seit dem Brexit-Votum der Briten am Donnerstag voriger Woche. “Meiner Meinung nach sollten wir das erst tun, wenn wir eine klare Vorstellung von den neuen Regelungen haben, um die wir uns mit unseren europäischen Nachbarn bemühen.” Die Austrittsverhandlungen können erst nach dem offiziellen Austrittsgesuch beginnen.

Premierminister David Cameron habe “dem Land Zeit gegeben, darüber zu entscheiden, was diese Beziehung sein sollte, indem er die Entscheidung zur Auslösung des Prozesses nach Artikel 50 verzögert hat, bis ein neuer Premierminister im Herbst im Amt ist”, sagte der Finanzminister, der ebenso wie sein Parteifreund Cameron für den Verbleib in der EU geworben und die Briten vor allem vor den wirtschaftlichen Folgen eines Brexit gewarnt hatte.

Wirtschaft muss sich an neue Situation anpassen

Am Montag sagte er, dass die britische Wirtschaft für die Brexit-Folgen gewappnet sei. Es werde bis zum Austritt keine Veränderungen bei Handel und Personenverkehr oder der Regulierung der Wirtschaft und des Finanzsystems geben, sagte Osborne. Er hege weiter Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit-Votums, werde aber alles tun, um es umzusetzen. Es sei aber “unvermeidbar”, dass sich die Wirtschaft an die neue Situation anpasse.

Seit dem Brexit-Votum wird Großbritannien von EU-Vertretern und den Regierungen anderer Mitgliedstaaten gedrängt, das formelle Austrittsgesuch rasch einzureichen. In Brüssel wird jedoch nicht damit gerechnet, dass Cameron das Gesuch bereits beim EU-Gipfel am Dienstag einreicht. Cameron hat seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt und will den Schritt seinem Nachfolger überlassen.

Beim EU-Gipfel am Dienstag und Mittwoch “werde ich deutlich sagen, dass wir keinerlei Verständnis für die taktischen Spielchen der konservativen Tories haben, mit denen sie Zeit gewinnen wollen, um ihren innerparteilichen Machtkampf auszufechten”, kündigte der deutsche Sozialdemokrat Schulz an.

In der Zeitung “Passauer Neue Presse” (Montagsausgabe) sagte der Parlamentspräsident weiter: “Wir haben über viele Jahre Unsicherheit gehabt, weil Großbritannien sich nicht entscheiden konnte, was seine Rolle in Europa ist. Nun herrscht Klarheit – und die gilt.” Er sei zuversichtlich, dass innerhalb Europas nun ein Umdenken einsetze.

Schulz: Ohne Europa wird es nicht gehen

In den “Ruhr Nachrichten” betonte Schulz, er befürchte nicht, dass Europa nun aus den Fugen gerate. Im Kreis der verbleibenden EU-Mitglieder werde nun zügig darüber nachgedacht, “wie wir Europa besser machen können, um neue Begeisterung zu wecken”. Ohne Europa werde es auch nicht gehen. “Jeder, der suggeriert, man könne durch den Rückzug in den Nationalstaat die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern, lügt sich entweder selbst in die Tasche oder will bewusst den Menschen Sand in die Augen streuen.”

CDU/CSU-Kauder spricht von “unnötigem Druck”

Der Fraktionschef von CDU/CSU im Deutschen Bundestag, Volker Kauder (CDU), sprach sich gegen “unnötigen Druck” auf Großbritannien bei der Umsetzung des Brexit-Votums aus. “Die ganzen Verhandlungen werden mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen, da kommt es nun auf ein paar Wochen auch nicht an”, sagte Kauder am Montag im “Morgenmagazin” des Senders ARD. Der CDU-Politiker rief dazu auf, auch künftig für gute Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Großbritannien zu sorgen. Gerade für die deutsche Automobilindustrie sei das Land ein wichtiger Exportmarkt. Zugleich machte er deutlich, dass es für die Briten “keine Extrawürste” und “keine Geschenke” geben dürfe. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte von der britischen Regierung Auskunft über das weitere Vorgehen zur Trennung von der EU verlangt. “Ehrlich gesagt, soll es nicht ewig dauern (…), aber ich würde mich jetzt auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen.”

Erklärt Großbritannien den Austritt nie?

Nach der persönlichen Einschätzung eines ranghohen EU-Diplomaten wird Großbritannien “möglicherweise nie” den Austritt aus der Europäischen Union erklären. Er erklärte nicht, ob er davon ausgehe, dass Großbritannien stattdessen ein erneutes Referendum über die EU-Mitgliedschaft abhalten oder aber den Trennungsprozess mit der EU ewig herauszögern werde, um den bestmöglichen Deal für sich herauszuschlagen. Der EU-Diplomat berichtete, seit dem Brexit-Referendum seien bei der EU tausende E-Mails von Briten eingegangen, die das Ergebnis bedauerten – darunter etliche von Leuten, die für den Ausstieg aus der EU gestimmt hätten und dies nun bereuten. “Das ist das erste Mal nach einem Jahrzehnt der Hass-Mails aus Großbritannien, dass wir mit Liebes-Mails überflutet werden”, sagte er.

Britischer Finanzminister rechnet mit Turbulenzen

Der britische Finanzminister George Osborne rechnet jedenfalls nach dem Brexit-Votum mit anhaltenden Turbulenzen an den Finanzmärkten. Sein Land könne die schwierige Herausforderung aber meistern, sagte Osborne am Montag. “Unsere Wirtschaft ist so stark wie nötig, um sich der Herausforderung zu stellen, die auf unser Land jetzt zukommt”, erklärte der Minister in seiner ersten Rede seit dem Brexit-Votum.

“In den nächsten Tagen” will sich Osborne, der früher als logischer Nachfolger des scheidenden Parteichefs David Cameron galt, zu seiner eigenen Zukunft in der Partei äußern. Derzeit sei er ganz auf seine Tätigkeit als Finanzminister konzentriert.

(APA)

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