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ÖVP-Knalleffekt: Spindelegger geht, Mitterlehner kommt

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner ist neuer ÖVP-Parteichef.
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner ist neuer ÖVP-Parteichef. ©APA
So schnell kann's gehen: Nachdem ÖVP-Chef Michael Spindelegger Dienstagfrüh seinen Rücktritt bekannt gegeben hat, designierte der Parteivorstand noch am Abend wie erwartet den derzeitigen Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner als neuen Parteiobmann. Wie das künftige Regierungsteam der ÖVP ausschauen wird, soll bis Montag geklärt werden.
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“Ich hab mich nicht in diese Rolle selber gedrängt”, betonte Mitterlehner bei einer Pressekonferenz spätabends nach dem Parteivorstand, von dem er einstimmig nominiert worden war. Auch vom mächtigen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll, der bei der Sitzung nicht anwesend war, hat der oberösterreichische Wirtschaftsbündler Mitterlehner “volle Rückendeckung”, wie er sagte. Er glaube, die Kraft und Kreativität für die neue Aufgabe zu haben, betonte Mitterlehner.

Handlungsfähigkeit “klargestellt”

Mitterlehner sieht jedenfalls die Handlungsfähigkeit der Regierung “klargestellt”. Wer neuer Finanzminister wird und ob es sonstige Umbildungen im ÖVP-Regierungsteam geben wird, weiß man noch nicht. Klären will Mitterlehner das Personalpaket bis spätestens Montag. Das Regierungsteam solle “im Kern” unverändert bleiben, wirklich festlegen wollte sich Mitterlehner aber auf Nachfrage nicht.

Ob er selbst ins Finanzministerium wechseln könnte, ließ Mitterlehner offen: “Für eine Trennung spricht, dass jetzt schon zwei oder drei Probleme gehabt haben mit der Kumulierung der Aufgaben. Auf der anderen Seite ist es eine tolle Position.” Der derzeitige Wirtschafts- und Wissenschaftsminister ließ aber eine Präferenz für den Verbleib im Wissenschaftsbereich durchblicken. Im Amt bleiben jedenfalls Klubchef Reinhold Lopatka und Generalsekretär Gernot Blümel.

Gemeinsame Linie in Sachen Steuerreform

Nun sei es wichtig, die Ausrichtung für die Zukunft zu machen und Kontinuität im Bereich der Regierung zu gewähren. Dazu gehöre auch, die Frage zu klären, wofür die Regierung eigentlich stehe, diese müsse an Profil gewinnen. So müsse man auch eine gemeinsame Linie in Sachen Steuerreform finden – einen grundsätzlichen Kurswechsel der ÖVP soll es aber offenbar nicht geben: Bei den Vermögensteuern “gehe ich konform mit dem, was wir bisher gemacht haben”.

Spindelegger-Rücktritt wegen Steuerreform

Die diskutierte Steuerreform hatte Spindelegger in der Früh als Grund für seinen Rücktritt als Parteichef, Finanzminister und Vizekanzler genannt. Spindelegger war zuletzt mit offener Kritik an seiner harten Haltung zur Steuerreform und der mangelnden Performance der Bundespartei konfrontiert worden – etwa von den Landeschefs Josef Pühringer (OÖ) und Günther Platter (Tirol). In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz ließ er schließlich am Dienstag kurz nach 9.00 Uhr wissen: “Ich möchte Ihnen heute mitteilen, dass ich mit dem heutigen Tag von allen meinen Ämtern in der Partei und in der Bundesregierung zurücktrete.”

Steuerreform für Spindelegger nicht leistbar

Für ihn ist eine Steuerreform angesichts von knapp 80 Prozent Staatsschulden nicht leistbar, argumentierte Spindelegger, eine Gegenfinanzierung durch Vermögenssteuern lehnt er ab. Allerdings hätten auch innerhalb seiner Partei jene die Oberhand gewonnen, die “auf diesen Populismuszug aufspringen”. “Jetzt wurde meine Loyalität und meine Paktfähigkeit überstrapaziert, daher trete ich heute zurück weil, ich mit meiner Überzeugung allein stehe”, so Spindelegger.

Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Pröll hatte Spindelegger vorher informiert. Faymann zeigte sich beim Pressefoyer nach dem Ministerrat, das er gleich allein absolvieren musste, “überrascht” vom Rücktritt seines Vizekanzlers. Die gemeinsame Regierung mit der ÖVP sieht er aber nicht gefährdet: “Ich gehe davon aus, dass die Koalition bis 2018 hält.”

Reinhold Mitterlehner – Was lange währt…

Reinhold Mitterlehner übernimmt die ÖVP – damit kann diese durchatmen und auch die SPÖ. Denn mit dem in der Sozialpartnerschaft gestählten Polit-Profi kann man davon ausgehen, dass das Werkl zumindest eine gewisse Zeit wieder rennt.

Garantie, dass es mit dem Mühlviertler langfristig gut geht, gibt es freilich keine. Denn Mitterlehner hat Ecken und Kanten, gilt manchen in der Partei als arrogant und zu selbstbewusst und in der SPÖ wird man sich auf Dauer fragen, ob der gute Rhetoriker nicht gar Kanzler Werner Faymann in den Schatten stellen könnte, eine Sorge, die man aus der Zeit Josef Prölls kennt, in der Ära Michael Spindelegger aber nicht mehr haben musste.

Spindelegger: Vermeintlich einfachere Lösung

Mitterlehner wäre schon nach Prölls Abtritt parat gestanden, die Partei zu übernehmen. Mehrheitsfähig war der Wirtschaftsminister damals nicht. Die Partei entschied sich für die vermeintlich einfachere Lösung Michael Spindelegger, den die Granden für leichter lenkbar hielten als Mitterlehner.

Mitterlehner loyal gegenüber Spindelegger

Der hatte aber inzwischen gelernt. Galt Mitterlehner früher als Sturkopf, der gerne auch einmal eine eigene Meinung gegen die Parteilinie öffentlich kundtat, erwies er sich Spindelegger gegenüber als loyal. Öffentliche Kritik kam dem nunmehr stellvertretenden Parteivorsitzenden keine über die Lippen und sein dazu gewonnenes Amt als Wissenschaftsminister, sowieso immer ein Minenfeld und durch die Abschaffung des eigenen Wissenschaftsressorts umso mehr, leitete er schnörkellos, ohne in Gefahr zu gelangen.

Dass Mitterlehner das Geschäft versteht, ist fast eine Selbstverständlichkeit. Der 58-jährige Jurist ist das, was man einen Berufspolitiker nennt. Nach dem Gerichtsjahr wechselte er in die Wirtschaftskammer, in der er dann politisch auch groß wurde. Schon in seiner Zeit als Wirtschaftsbund-Generalsekretär in den 1990er-Jahren galt der dreifache Vater als Hoffnungsträger, das änderte sich auch nicht, als ihn Präsident Christoph Leitl als stellvertretenden Generalsekretär in die Kammer holte.

Schwarz-Blau kam dazwischen

Ein schnellerer Aufstieg wäre wohl möglich gewesen, wäre Mitterlehner nicht Schwarz-Blau und damit die Kanzlerschaft Wolfgang Schüssel in die Quere gekommen. Denn der und Mitterlehner konnten – freundlich ausgedrückt – gar nichts miteinander anfangen. Dafür nützte Mitterlehner die Zeit, auf Sozialpartner-Schiene den Kontakt mit der roten Reichshälfte aufrecht zu halten. Bis heute ist der Wirtschaftsminister beim ÖGB gerne gesehener Gast.

Offen für Ideen aus anderen Lagern

Das hängt auch damit zusammen, dass Mitterlehner politisch durchaus für Ideen offen ist, die nicht seinem politischen Lager entstammen. Als einer der ersten Konservativen sprach er sich für eine Finanztransaktionssteuer aus, auch in der Ausländer-Politik war er stets liberaler als seine Partei und als ihn Josef Pröll eher widerwillig unter dem Druck Leitls und des oberösterreichischen Landeshauptmanns Josef Pühringer (ÖVP) 2008 endlich zu Ministerehren kommen ließ, avancierte er rasch mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer zum Macher-Duo.

Will Mitterlehner auch in neuer Rolle erfolgreich sein, wird er wohl ein wenig Kreide speisen müssen. Denn er neigt zu forschem Tonfall, wenn ihm etwas nicht passt, und in der von allerlei Sensibilitäten geprägten ÖVP ist leicht einmal jemand Wichtiger nachhaltig gekränkt. Lässt ihn seine Partei aber und findet die Regierung in der neuen personellen Aufstellung wieder in die Gänge, könnte Mitterlehner für Werner Faymann und FP-Chef Heinz-Christian Strache ein unangenehmerer Gegenspieler werden, als diesen lieb ist.

Zur Person

Reinhold Mitterlehner, geboren am 10. Dezember 1955 in Helfenberg (Oberösterreich), in zweiter Ehe verheiratet, Vater von drei Kindern. Promovierter Jurist, 1980-1992 in der Wirtschaftskammer Oberösterreich tätig, im Anschluss bis 2000 Wirtschaftsbund-Generalsekretär, danach bis 2008 stellvertretender Generalsekretär der Wirtschaftskammer, ab 2008 Wirtschafts- und Familienminister, seit Dezember 2013 zusätzlich Wissenschaftsminister, dafür nicht mehr für Familienagenden zuständig. (APA)

Spindelegger zurückgetreten

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