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Mindestsicherung: Wiener Grüne orten bei ÖVP "Neiddiskurs" und "bewusst falsche Zahlen"

Sozialsprecherin Birgit Hebein (Grüne) wirft der ÖVP vor, den Neiddiskurs anzuheizen
Sozialsprecherin Birgit Hebein (Grüne) wirft der ÖVP vor, den Neiddiskurs anzuheizen ©APA
Kein Ende der Debatte um die Mindestsicherung in Wien: Nachdem die ÖVP zu Wochenbeginn vor einem drastischen Anstieg der Kosten von mehr als einer Mrd. Euro bis 2021 gewarnt hat, kommt nun die Retourkutsche der Grünen. Die Volkspartei argumentiere bewusst mit falschen Zahlen, "um den Neiddiskurs anzuheizen", lautet der Vorwurf von Sozialsprecherin Birgit Hebein.
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ÖVP-Chef Gernot Blümel hatte am Montag in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten vorgerechnet, dass die Anzahl der Mindestsicherungsbezieher in vier Jahren in der Hauptstadt bei mehr als 300.000 liegen würde. Dann würden die Ausgaben auch die Milliardenmarke überspringen. Zum Vergleich: Im heurigen Voranschlag sind 662 Mio. Euro budgetiert.

Hebein (Grüne): “ÖVP-Darstellung ist methodisch absurd”

“Die ÖVP-Darstellung ist methodisch absurd”, resümiert Hebein im APA-Gespräch. Hier würden “willkürliche Zahlen” genommen. Man gehe von veralteten Zahlen aus und rechne linear hoch. Das sei nicht nachvollziehbar, weil aktuelle Entwicklungen nicht berücksichtigt würden. “Die ökonomische Entwicklung ist gerade gut, die Arbeitslosigkeit sinkt leicht, Wifo (Wirtschaftsforschungsinstitut) und IHS (Institut für Höhere Studien) vermelden positive Konjunkturdaten. Das heißt: Es sinkt die Inanspruchnahme von Sozialsystemen”, argumentiert die Grün-Politikerin.

Außerdem sei die Fluchtbewegung deutlich abgeflaut. Und die kürzlich präsentierte Wiener Mindestsicherungsreform mit leichterem Zugang zur Ausbildung und Begleitmaßnahmen in das Berufsleben werde die Situation ebenso verbessern.

Mindestsicherung: Kritik an Rechenbeispiel mit Familie

Kritik übt Hebein auch an einem Rechenbeispiel, das die ÖVP präsentiert hat. Dieses soll belegen, dass einer Familie mit zwei Kindern, die ein Einkommen von 1.500 Euro netto aus Arbeit zur Verfügung hat, unterm Strich weniger Geld überbleibt, als derselben Familie, wenn sie stattdessen Mindestsicherung beziehen würde. Die Sozialsprecherin widerspricht und sieht Fehler in der schwarzen Berechnung.

Denn das ÖVP-Beispiel rechnet bei 14 Gehältern von 1.500 Euro netto mit einem monatlichen Budget von 1.750 Euro. Diese Zahl ergibt sich, indem man 21.000 Euro Jahresgehalt (1.500 x 14) auf zwölf Monate aufteilt. 1.750 Euro liegen allerdings knapp über dem Anspruchslimit der Sozialleistung (1.711,04 Euro). Damit hätte die arbeitende Familie in der Folge auch keinen Anspruch auf Zusatzleistungen wie etwa GIS-Gebührenbefreiung, Ermäßigungen bei Öffi-Tickets oder billigere Bücherei- und Bädergebühren.

“Der ÖVP ist wohl jedes Mittel recht, den Neiddiskurs anzuheizen”

Hebein weist allerdings darauf hin, dass für die Berechnung der Anspruchsberechtigung das Monatsgehalt – also in diesem Fall 1.500 Euro – herangezogen werde. Damit hätte die Familie mit Erwerbseinkommen sehr wohl Anspruch auf Mindestsicherung – und zwar zehn Mal im Monat eine Ergänzungszahlung um 211,04 Euro. Nur in den beiden Monaten, in denen auch das 13. und 14. Gehalt ausbezahlt werden, entfalle die Bezugsberechtigung, weil die Summe dann über der Grenze von 1.711,04 Euro liegt.

Somit komme auch diese Familie – wie jene mit ausschließlich Mindestsicherungseinkommen – in den Genuss der von der ÖVP angeführten Ermäßigungen. Hebeins Resümee: “Die Familie mit Erwerbseinkommen hat mehr Geld zur Verfügung als eine Familie, die auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen ist. Beide erhalten dieselben Vergünstigungen”, wobei der werktätigen Familie eben zusätzlich noch das 13. und 14. Gehalt zur Verfügung stehe. Der Versuch, Familien mit wenig und gar keinen Einkommen gegenseitig auszuspielen, sei kläglich gescheitert: “Der ÖVP ist wohl jedes Mittel recht, den Neiddiskurs anzuheizen, um weiter das Vertrauen in das Sozialsystem zu zerstören.”

Der Rechnungshof hatte in einem erst kürzlich erschienenen Bericht den Vollzug der Sozialleistung in der Bundeshauptstadt kritisiert. In weiterer Folge forderte die Prüfinstitution eine Rückkehr zu einer bundeseinheitlichen Regelung.

Blümel kontert Grünen: “Das Leugnen geht weiter”

Die Wiener ÖVP hat die – zuvor im APA-Gespräch geäußerte – Kritik der Grünen Sozialsprecherin Birgit Hebein, wonach die Schwarzen in Sachen Mindestsicherung mit falschen Zahlen argumentierten, nicht auf sich sitzen lassen. “Das Leugnen bei der Mindestsicherung geht unvermindert weiter”, konterten Landesparteichef Gernot Blümel und Sozialsprecherin Ingrid Korosec in einer gemeinsamen Aussendung.

Und das, “obwohl die Datenlage mehr als eindeutig ist, die Kritik des Rechnungshofes vernichtend ist und die Kosten und die Bezieher in Wien explosionsartig ansteigen”. Bereits in der Vergangenheit hätten sich alle Warnungen und Befürchtungen der Wiener ÖVP betreffend Mindestsicherung bewahrheitet und seien sogar übertroffen worden: “Dass die oberflächlichen und kosmetischen Maßnahmen, die von Rot-Grün als Reform verkauft wurden, laut Hebein zu einer Verbesserung der Lage führen sollen, kann nur als Gipfel der Realitätsverweigerung bezeichnet werden”, meint man bei der ÖVP.

>>Wiener ÖVP: Warnung vor stark steigenden Ausgaben für die Mindestsicherung

(apa/red)

 

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