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Mehr als die Summe der einzelnen Teile

"Hier kann man auf das gute Handwerk der Region zurückgreifen." (Johannes Kaufmann, Architekt)
"Hier kann man auf das gute Handwerk der Region zurückgreifen." (Johannes Kaufmann, Architekt)
Mellau. Vo Mello bis ge Curaçao. Prinzipiell kann TINN’ überall errichtet werden. Seine erste Umsetzung findet das Modulbausystem nun in Mellau als „Ferienhaus Islen“ und passt hier auch richtig gut hin.
Islen Ferienhaus, Mellau

Mit SU-SI, einem 43 m2 großen, freistehenden Wohnbzw. Büromodul, und HotelBox, einer Raumzelle zur Nutzung als Hotelzimmer, können die Zimmerei Michael Kaufmann und Architekt Johannes Kaufmann auf viele Jahre Erfahrung im Modulsystembau zurückblicken. „Zunächst war für die Bregenzerwälder Handwerksausstellung in Bezau 2014 eine Neuauflage von SU-SI geplant“, erzählt Johannes Kaufmann. Die Beteiligten sahen allerdings schnell ein, dass man SU-SI nicht verbessern kann, entschieden sich einen Schritt weiter zu gehen und etwas ganz Neues zu entwickeln. Man setzte sich zum Ziel, ein kleines modulares Einfamilienhaus komplett aus selbsttragenden Raumzellen zu schaffen. So entstand als neuestes Projekt TINN’.

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Corrected by Zoli ©Islen. Das Ferienhaus fügt sich in Materialität und Maßstäblichkeit subtil in die Umgebung ein.

Erstmals präsentiert wurde TINN’ bei besagter Handwerksausstellung. Dort konnte das zweigeschoßige Haus innerhalb von zwei Tagen „bezugsfertig“ aufgestellt werden. Nach Ausstellungsende übersiedelte man den Prototypen nach Mellau und erweiterte ihn um eine zweite, um 90° gedrehte Haushälfte. Seit Dezember wird das Doppelhaus am Mellenbach als „Ferienhaus Islen“ vermietet und dadurch gleichzeitig das Modulbausystem TINN’ beworben.Vier Modulboxen bilden zusammen mit mittig gelegenem Stiegenhaus, vorgelagertem Schopf und Giebeldach ein Wohnbzw. Ferienhaus mit Außenmaßen von 9 mal 9 Metern. In Mellau entschied man sich für eine Ausführung als Doppelhaus: „Durch das Zusammenfügen von zwei Häusern hat das Gebäude eine ähnliche Proportion wie die umliegenden Häuser“, erklärt Johannes Kaufmann. Das Ferienhaus fügt sich daher in Körnung und Maßstäblichkeit subtil in die Umgebung ein.

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Corrected by Zoli ©Schopf Direkt am Mellenbach und mit Blick auf die Kanisfluh ein gedeckter und windgeschützter Außensitzplatz.

Auf jeweils 90 m2 Nutzfläche können bis zu acht Feriengäste urlauben. Das Erdgeschoß nimmt einen großzügigen Wohnraum, Küche, WC und Haustechnik auf. Im Obergeschoß befinden sich zwei Schlafzimmer, Bad und ein offener Aufenthaltsraum. Der Schopf dient als gedeckter Eingangsbereich und Außensitzplatz, bietet im Erdgeschoß einen verschließbaren Abstellraum für Ski oder Fahrräder. Im Obergeschoß befinden sich im Schopf eine Sauna und ein geschützter Liegebereich an der frischen Luft.

„Tinnes“ Holz nennt man im Bregenzerwald weiches Holz wie die Nadelhölzer Fichte, Weißtanne oder Lärche. Und dieses kommt bei TINN’ auch umfangreich zur Anwendung: die gesamte Massivholzkonstruktion und Fassade, Wände und Decken sind aus heimischer Fichte. Die geschlossene Fichtenholzfassade wird im Bereich des Schopfs aufgelockert. Hier bietet ein Holzscreen aus vertikal verlaufenden Lamellen einen konstruktiven Sonnenschutz und verhindert Einblicke. Sämtliche Möbel sowie der Boden sind aus Bregenzerwälder Braunkern-Esche. „Wir haben bei diesem Haus das Zimmerer-Handwerk aufleben lassen. Man könnte das alles auch einfacher machen, aber das wollten wir nicht“, erzählt Michael Kaufmann. Und Johannes Kaufmann ergänzt: „So einfach wie möglich, aber nicht zu einfach.“

Die Zwischenräume der Stiegenkonstruktion sind als Möbel ausgebildet und schaffen Regalund Staufläche.
Die Zwischenräume der Stiegenkonstruktion sind als Möbel ausgebildet und schaffen Regalund Staufläche. ©Die Zwischenräume der Stiegenkonstruktion sind als Möbel ausgebildet und schaffen Regal und Staufläche.

Auf Nachhaltigkeit und Ökologie der Materialien wurde hoher Wert gelegt. So sind alle Hölzer unbehandelt, ohne Lack oder Imprägnierung, und die Konstruktion folienfrei. Eine Holzfaserdämmung sorgt dafür, dass das Haus „atmen“ kann, und schafft ein behagliches Raumklima. In Küche und den Nassbereichen kommt ein spezielles Material zum Einsatz, das zu 60 Prozent aus Reishülsen besteht. Das Produkt ist wasserfest, wirkt sehr natürlich und stellt einen passenden Kontrast zum hellen Fichtenholz her. Großzügige Holzfenster lassen viel Tageslicht in den Innenraum und erlauben Ausblicke in die Umgebung, wie auf die atemberaubende Kanisfluh.

Küche, WC und Haustechnik bilden eine der vier Modulboxen. Foto: Cyril Müller
Küche, WC und Haustechnik bilden eine der vier Modulboxen. Foto: Cyril Müller ©Küche, WC und Haustechnik bilden eine der vier Modulboxen.

Witterungsunabhängig, unter kontrollierbaren Bedingungen, werden die einzelnen Module und Elemente vollständig in der Halle der Zimmerei in Reuthe vorgefertigt. Die Einheiten verlassen den Betrieb einzugsbereit: Holzböden und Wandverkleidungen sind bereits fertig montiert, Installationen und Beleuchtungen warten nur mehr an den Wasser- und Stromanschluss am Einsatzort. Die Modulboxen werden mit Tiefladern an die Baustelle geliefert und auf dem vorbereiteten Fundament zusammengefügt. Ebenfalls vorgefertigt, komplettieren anschließend Schopf, Fassade und Giebeldach das Wohnhaus. Durch die Vorfertigung wird einerseits gleichbleibend hohe Qualität gewährleistet, andererseits eine sehr kurze Baustellenzeit von ca. zwei Wochen ermöglicht.

Modulares Bauen bedeutet im Fall von TINN’ mehr als ein reines Baukastenprinzip. Es impliziert auch lokale Wertschöpfung, heimische Materialien, traditionelles wie innovatives Handwerk, modernes Design und ein sehr hoher Anspruch an die Ausführungsqualität. Und so wird aus vielen Elementen ein Ganzes, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile.

Daten & Fakten

Objekt: ISLEN Ferienhaus, Mellau (TINN’ Modulbausystem)
Eigentümerin/ Bauherrin: Doris Kaufmann, Bezau
Architektur: Johannes Kaufmann Architektur Dornbirn
Holzbaubetrieb/ Zimmerei: Kaufmann Zimmerei und Tischlerei Reuthe
Fachplaner/ Ingenieure: Statik: Merz Kley & Partner, Dornbirn

Planung: 3–5/2014
Ausführung: 6–7/2014 Handwerksausstellung; 10–11/2014 am endgültigen Standort

Grundstücksgröße: 3000 m²
Wohnnutzfläche: 90 m² (beheizt); 35 m² (Schopf, Veranda)

Bauweise: Konstruktion aus massivem Fichtenholz; Holzfaserisolierung; Fichtenschalung; Giebelkaltdach mit Blecheindeckung; Innenausbau: Holzböden aus Esche; Wände, Decke, Täfer aus Fichte; Filzwandbeläge; Nassbereiche: Material aus Reishülsen; Möbel: Esche; Holzfenster; Luftwärmepumpe für Heizung und Warmwasser; Beheizung über HeizkörpeBesonderheiten: Schlüsselfertige Modulbauweise: Vorfertigung der Modulboxen in Reuthe; Lieferung komplett mit Bekleidungen, Beleuchtungen und Installationen; Minimierte Baustellenzeit

Ausführung: Holzbau/Innenausbau/Möbel: Kaufmann Zimmerei Tischlerei, Reuthe; Baumeister: Moosbrugger Bau, Andelsbuch; Fenster: Arnold Feuerstein, Bizau; Elektro: Albrecht, Mellau; Heizung/Sanitär: Steurer, Schwarzenberg; Dach: Rusch, Alberschwende; Raumausstattung: Mohr, Andelsbuch

Energiekennwert: 40 kWh/m² im Jahr (Heizwärmebedarf)
Baukosten: ca. 370.000 Euro

Fotos: Cyril Müller

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut

Im vai Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn wird nächsten Donnerstag, 5. Februar 2015 um 19 Uhr, die Ausstellung „Architektur ist Leben – Der Aga Khan Award for Architecture 2013“ eröffnet. Bei diesem höchst dotierten Preis wurde u. a. der Islamische Friedhof Altach geehrt. Sie sind herzlich eingeladen! Mehr Informationen: v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

 

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