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Manfred Juraczka (ÖVP) im Interview: "Für irgendeine Hetze sind wir nicht zu haben"

Manfred Juraczka im Interview mit fischundfleisch.
Manfred Juraczka im Interview mit fischundfleisch. ©fischundfleisch
Zum Wien-Wahlkampf – VIENNA.at in Kooperation mit fischundfleisch.com: ÖVP-Spitzenkandidat Manfred Juraczka über den bevorstehenden Wahlkampf, die Idee eines 24-Stunden-Kindergartens und Gesprächen mit der FPÖ.

Herr Juraczka, Ihre Parteikollegen Schelling und Leitl unterstellen Mindestsicherungsbeziehern pauschal, dass sie sich in der sozialen Hängematte ausruhen. Wie sieht es mit AlleinerzieherInnen aus, die aufgrund ihrer Betreuungspflichten keine Anstellung finden?
Juraczka: Es ist wichtig, dass es in einem System soziale Treffsicherheit gibt. Deutschland kontrolliert genau das bei Hartz IV, was übrigens Rot-Grün eingeführt hat. Das findet in Wien in dieser Weise nicht statt, was ich für einen Fehler halte. Darüber hinaus muss man viele Möglichkeiten bieten, den Arbeitsmarkt anzukurbeln. Wir müssen definitiv die Angebote der Kinderbetreuung ausweiten. Es reicht nicht aus, wenn das Kind um 17:00 oder 18:00 abgeholt werden muss, da die Arbeitszeiten flexibler geworden sind. Wir haben in Wien keinen einzigen Kindergarten, der einen 24-Stunden-Betrieb hat. Das brauchen wir zwar nicht in jedem Bezirk, aber doch ein paar Mal in Wien. Wir haben alleinerziehende Krankenschwestern, Mütter in der Gastronomie. Solche Angebote sind dringend notwendig.

In vielen Bereichen haben Praktikanten viele Vollzeit-Jobs gekostet, andererseits haben es die Jungen schwer, nach einem oder mehreren Praktika fixe, gut bezahlte Jobs zu finden. Lösungsvorschläge?
Juraczka: Ich sehe nicht nur die Praktikanten, sondern auch die so genannten Scheinselbständigen. Das ist ein Thema! Man muss danach trachten, dass man mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt zulässt. Gerade junge Menschen sagen mir oft, sie würden es toll finden, wenn sie am Sonntag arbeiten könnten und dafür am Montag, Dienstag frei hätten. Jeder Beamte darf zwölf Stunden arbeiten. In der Privatwirtschaft, die Gastronomie als Beispiel, sind es oft nur zehn Stunden. Hier sollte man von starren Schablonen weggehen, die helfen niemandem. Hier gibt es noch viel zu tun.

Die Lebenserhaltungskosten explodierten, die Realität der Einkommen hinkt eklatant hinterher.
Juraczka: Häupl hat immer nach Entlastung auf Bundesebene geschrien, die jetzt in Form der Steuerreform kommt. Aber in Wien wurde vieles teurer, auch das Wohnen. Die Betriebskosten haben sich massiv verteuert, Müllgebühren, Abwasser… all diese Dinge sind klassische Lohnnebenkosten. Man muss bei versteckten Preistreibern, von Friedhofsgebühren bis zur Nachmittagsbetreuung an den Schulen, auf die Bremsen steigen. Es kann nicht sein, dass von einer Lohnerhöhung gar nichts übrig bleibt.

Die Menschen sind frustriert, die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Geld ist knapp. Es scheint, als gäbe es keine Antworten...
Juraczka: Ich komme aus der Privatwirtschaft und weiß aus Erfahrung: Es gibt Antworten und Lösungen. Wir haben ein gut durchdachtes Konzept, das ich auch noch im Detail bei Ihnen auf der Plattform präsentieren werde. Gemeinsam mit meinem Team will ich in Wien Tausende neue Jobs schaffen. Wir müssen Anreize geben, damit sich neue Firmen ansiedeln. Dazu müssen Gebühren gekürzt und bspw. die Werbeabgabe abgeschafft werden. Die Bürokratie ist Gift für die Wirtschaft. Mit einer Sonntagsöffnung für den Tourismus in der Inneren Stadt und rund um wichtige Sehenswürdigkeiten können 800 neue Jobs entstehen, die mehr als 140 Millionen Euro Umsatz bringen. Der Ausbau der Transsibirischen Eisenbahn könnte über 3.000 Arbeitsplätze bringen, die dritte, längst nötige Piste für den Flughafen Schwechat 2.000. Ein neuer, ebenfalls längst überfälliger Busterminal 1.700. Mit Start Up-Centern, die neue Betriebe betreuen, sind bis zu 8.000 Arbeitsplätze möglich. Ein Glasfasernetz für ganz Wien bringt noch einmal 500  – unser Maßnahmenpaket ist umfassend.

Umfragen sehen derzeit weder eine Mehrheit von Rot-Schwarz noch Rot-Grün. Ihre Idee für eine Koalition?
Juraczka: Wir sollten jetzt einmal einen Wahlkampf führen, in dem wir alle unsere Ideen präsentieren und halbwegs ein gutes Niveau halten. Niveau ist keine Hautcreme. Ich fürchte, bei der berühmten Schlacht um Wien könnte es durchaus ruppig werden. Wir haben gesehen, dass Meinungsumfragen in letzter Zeit nicht sehr treffsicher sind. Warten wir mal das Ergebnis am 11. Oktober ab. Ich halte es mit der Tradition, dass die stimmenstärkste Partei andere zu Gesprächen einlädt, um eine Regierung zu bilden. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir unser Wahlziel, stärker zu werden, erreichen. Ich bin aber Realist genug, dass wir nicht die Stimmenstärksten sind.

Ist für Sie eine Koalition mit einer Strache-FP denkbar? Könnte es einen Vize Juraczka unter einem Bürgermeister Strache geben?
Juraczka: Ich höre mir seit Jahren berufsbedingt jede Gemeinderatssitzung an und weiß in vielen Bereichen nicht, was die FPÖ möchte. Reden werde ich mit jedem, auch mit den Blauen. Dass es mit den Grünen bei der Verkehrspolitik sehr schwierig wird, ist klar. Dass es mit der Sozialdemokratie mit Renate Brauner in Wirtschaftsfragen nicht einfach wird, ebenfalls. Und, dass es ganz massive Blocking-Points mit der FPÖ gibt, die Europapolitik nur als ein Beispiel zu nennen, ist auch klar. Aber Gespräche schließe ich mit niemandem aus.

Also Sie als Vize unter Bürgermeister Strache ist denkbar?
Juraczka: Ich bin gespannt, wie die nächsten Wochen FP-Wahlkampf aussehen werden. Für irgendeine Hetze sind wir nicht zu haben. Ich halte weder etwas vom Grünen Bleiberecht für alle, noch etwas vom Standpunkt „jeder Asylwerber ist automatisch ein Krimineller“. Das sind beides unreflektierte Positionen, die an der Vernunft vorübergehen.

Sieht man sich die Postings auf Facebook über Flüchtlinge an, so scheint vielen die Vernunft – und auch das Herz – abhanden gekommen zu sein. Was läuft in unserem Land falsch?
Juraczka: Österreich hat eine lange Tradition, Flüchtlingen Unterschlupf zu geben. Das ist richtig so und soll so bleiben. Angesichts des Ansturms, den es gerade gibt, muss man aber deutlich unterscheiden, wer wirklich an Leib und Leben von Krieg bedroht ist. Wir können nicht alle, die hoffen, hier ein besseres Leben und wirtschaftliches Auskommen zu finden, versorgen. Es braucht nun europäischen Zusammenhalt, wie auch die schrecklich Tragödie im Burgenland gezeigt hat. Es kann aber nicht sein, dass manche Länder 100.000 Asylanträge pro Jahr haben und andere nur 1.000 im Jahr. Es sind leider viele Länder, die ihre Verpflichtungen nicht erfüllen. Hier appelliere ich an unsere europäischen Partner und fordere eine klare Sicherung der europäischen Grenzen!

Die gesamte Regierung wird für die Zustände in Traiskirchen und für die gescheiterte Flüchtlingspolitik verantwortlich gemacht, wie sehr schadet Ihnen das angekratzte Image der Bundes-VP eigentlich?
Juraczka: Ich denke, die Bundes-VP hat vor allem unter der aussitzenden Haltung des Herrn Bundeskanzlers zu leiden. Wir haben definitiv die besseren Leute, die immer wieder Initiativen setzen und etwas bewegen wollen. Hier wird von Faymann ganz massiv gebremst, was mittlerweile stark auf die ÖVP abfärbt. Die Hauptschuld sehe ich in der Person des Kanzlers, dem es reicht, Kanzler ohne große inhaltliche Visionen für das Land zu sein.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird überall größer. Die Spirale der verbalen Gewalt zwischen den Gruppen wird immer grauslicher. Der Hass nimmt zu. Wie soll das gelöst werden?
Juraczka: Wir haben viele Bereiche, die polarisieren. Schauen wir uns die Sozialen Netzwerke an, die Foren in den Printmedien. Es ist ein Problem, dass hier eine Aufrüstung der Worte stattfindet. Man setzt sich nicht mit anderen Meinungen auseinander, sondern glaubt, sie bekämpfen zu müssen. Da sind alle gefordert. Die Politik sollte in den kommenden Wochen in der Wortwahl zeigen, dass sie Vernunft walten lässt. Das ist auch ein Appell an die Medien!

Also sind Erbschaftssteuer, Bankenabgabe, Umverteilung keine Themen für Sie?
Juraczka: Nein. es gibt Bereiche, in denen ich keinen Sinn sehe, Sozialleistungen mit der Gießkanne auszuschütten.

Wäre ein Experiment spannend, Politiker eine Zeit lang mit einem Mindesteinkommen auskommen zu lassen?
Juraczka: Das ist zwar charmant, aber es wird immer schwerer, Leute für die Politik zu gewinnen. Ich war zuvor in der Privatwirtschaft und mache kein Hehl aus meinem Einkommen. Ich bekomme jetzt, als Stadtrat in Wien, 8.400 Euro brutto, das sind, nach Parteiabgaben, knapp unter 4.000 Euro netto. Die hatte ich in der Privatwirtschaft auch. Aber damals hat mich niemand auf der Straße erkannt. Ich hatte meine Privatsphäre.
 
Die Menschen haben aber den Eindruck, dass viele Politiker jeglichen Bezug zur Einkommens- und Kostenrealität verloren haben.
Juraczka: Nehmen Sie die Bezirksräte, die sich engagieren. Die bekommen 400 Euro brutto. Dieses Engagement ist besonders löblich. Man hat versucht, Politikergehälter zu objektivieren. Die Frage ist, welches Gehalt für Politiker angemessen ist. Wenn Sie da eine gute Idee haben, lassen Sie es mich wissen.

Das Interview wurde von der Meinungsplattform fischundfleisch geführt –  VIENNA.at ist Kooperationspartner.

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