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"Malariatherapie" in Wien besonders lange eingesetzt

"Malariatherapie" in Wien bis in die 1960er Jahre eingesetzt
"Malariatherapie" in Wien bis in die 1960er Jahre eingesetzt ©APA (Sujet)
Bis in die 1960er-Jahre und damit besonders lange, wurde in Wien die sogenannte "Malariafiebertherapie", bei der Menschen mit psychischen Erkrankungen Malaria-Erreger injiziert und so Fieberschübe hervorgerufen wurden eingesetzt. Patienten dienten zudem auch als Stammerhalter des Erregers - das sind die Ergebnisse der von der MedUni Wien eingesetzten Historikerkommission.

Die Kommission unter der Leitung des Historikers Gernot Heiss wurde 2012 eingesetzt, nachdem ehemalige Patienten mit Vorwürfen an die Medien getreten waren und von Behandlungen per “Malariafiebertherapie” berichteten. Insgesamt untersuchte das Expertenteam mehr als 15.000 Patientenakten aus den Jahren 1951 bis 1969 aus dem Archiv des Allgemeinen Krankenhauses, wie Heiss bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, den 24. Juni, berichtete.

“Malariatherapie”: Wiener Patienten auch zur Stammerhaltung infiziert

Grundsätzlich müsse man mit Aktenverlusten rechnen, dennoch konnten in 772 Fällen bei Erwachsenen und 35 Mal bei Kindern eine Behandlung mit der Fiebertherapie festgestellt werden – eine Therapie, die laut Heiss nach damaligem Kenntnisstand durchaus zulässig war.

“Intelligenzmängel” und “Psychopathie”

Die Behandlung wurde in Wien allerdings nicht nur im Endstadium von Syphilis-Erkrankungen eingesetzt – für diese Methode hatte Julius Wagner-Jauregg 1927 noch den Nobelpreis bekommen. Auch bei den Diagnosen “schizophrene und affektive Erkrankungen”, “Intelligenzmängel” und “Psychopathie” kam sie zur Anwendung. Und zwar noch in jenen Jahren, in denen sich Ärzte in anderen Krankenhäusern zunehmend auf die neu entdeckten Psychopharmaka verließen. “Bei diesen Diagnosen wurde die Malariatherapie im deutschsprachigen Raum sonst nicht oder nicht mehr angewandt”, erklärte Heiss.

“Wenig bis nichts gegen die Behandlung einzuwenden”

Das führt der Historiker auf die guten Erfahrungen zurück, die in den 1920er- bis 1940er-Jahren mit der Fiebertherapie gemacht wurden. Nicht zuletzt daher sei die Behandlung unter Klinikleiter Hans Hoff an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie so lange so populär gewesen. Ob die Therapie damals “State of the Art” gewesen sei, lasse sich heute nur noch schwer beantworten, betonte Heiss. Jedenfalls finde man sie in zeitgenössischen psychiatrischen Lehrbüchern, auch wenn dort die pharmakologische Behandlung bevorzugt werde. “Vom medizinischen Standpunkt der Zeit war somit wenig bis nichts gegen die Behandlung einzuwenden”, erklärte der Historiker.

“Schock- und Fieberkuren”

Statt auf evidenzbasierte Medizin habe man sich zu dieser Zeit eher auf Erfahrungen und große Namen verlassen. Auch andere “Schock- und Fieberkuren” wie etwa die Elektrokrampftherapie oder die Insulinkomatherapie seien damals populär gewesen, so Heiss.

Infektion erfolgte durch Blutweitergabe

Allerdings: In Wien wurden Patienten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch infiziert, um den Stamm des Malariaerregers zu erhalten. Denn die Infektion erfolgte durch Blutweitergabe von Patient zu Patient. Auf die Stammerhaltung deuten vor allem Aktenvermerke hin, in denen “kommt als Stammträger” vermerkt ist. Bei 20 Patienten fand die Kommission solche Einträge. “Dass Patienten primär zur Aufrechterhaltung des Malaria-Stamms geimpft wurden, konnte zwar nicht vollständig bewiesen werden, aber es ist sehr gut möglich”, meinte Heiss. Ob auch das eine übliche Praxis gewesen sei, konnte der Historiker nicht sagen, denn derzeit würden noch Vergleichsstudien fehlen.

Aus heutiger Sicht ganz klar abzulehnen

“Wenn Patienten infiziert wurden, um den Stamm am Leben zu erhalten, ist das aus heutiger Sicht ganz klar abzulehnen”, betonte Johannes Wancata, Mitglied des Beirats der MedUni Wien und Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie. Er drücke sein Bedauern aus, dass “so etwas an einer unserer Abteilungen geschehen ist”, so Wancata.

Patienten zu Forschungszwecken geimpft

In den ersten Medienberichten hatten Patienten u.a. darüber berichtet, dass die Fiebertherapie zu Versuchszwecken oder als Disziplinierungsmaßnahme eingesetzt worden sei. “Darauf, dass Patienten zu Forschungszwecken geimpft wurden oder die Fieberkur als Bestrafung eingesetzt wurde, gibt es in den Akten keine Hinweise”, meinte Heiss – ebenso wenig wie in Bezug auf behandelte Heimkinder aus Kaiserebersdorf und Eggenburg. “Die meisten Patienten mit diesen Diagnosen erhielten keine Fiebertherapie”, so der Historiker. Wann diese eingesetzt wurde und wann nicht, sei aus den Akten nicht zu erklären.

Die Gefahr von Malaria-Rezidiven

Die Kommission hat jedoch keine Zeitzeugen – also Patienten aus jener Zeit – befragt. “Das wäre eine völlig andere Forschungsfrage gewesen”, betonte er. Es gebe aber sicherlich noch offene Fragen, die es in weiteren Schritten zu klären gelte. Die Gefahr von Malaria-Rezidiven – also Rückfällen mit erneuten Fieberschüben – sei bei der Mensch zu Mensch-Infektion jedenfalls ausgeschlossen, meinte Heiss. Patienten hatten über Spätfolgen geklagt. Auf das Angebot der MedUni an Betroffene hätten sich jedenfalls zwölf ehemalige Patienten gemeldet – drei nahmen psychologische Unterstützung in Anspruch.

Ergebnisse der Kommission mit Konsequenzen?

Ob die Ergebnisse der Kommission Konsequenzen – etwa eine Prüfung von Entschädigungszahlungen – nach sich ziehen werden, konnte der Rektor der MedUni Wien, Wolfgang Schütz, heute noch nicht sagen. “Das wäre auch Sache des Krankenhausträgers (also der Stadt Wien, Anm.)”, so Schütz. Die jetzt verfolgte statistische, anonymisierte Auswertung der Patientenakten, die 2016 auch in Buchform erscheinen soll, könne aber jedenfalls Grundlage sein.

(APA/Red.)

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