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Ludwig Lahers "Überführungsstücke": Ein Besuch im Archiv des Unrechts

Ludwig Lahers neuer Roman heißt "Überführungsstücke"
Ludwig Lahers neuer Roman heißt "Überführungsstücke" ©Michael Müller / Wallstein Verlag
"Überführungsstücke" stehen im Zentrum des neuen Romans des österreichischen Autors Ludwig Laher. Diese werden in der Asservatenkammer einer bayerischen Justizstelle ausgebreitet. Das neue Buch des österreichischen Autors ist unser Buch-Tipp der Woche.

Justizverwaltungsinspektor Oskar Brunngraber, zentrale Figur in “Überführungsstücke” ist ohne Zweifel ein Verwandter des Herrn Karl und macht sich wie dieser so seine Gedanken über das Leben.

Bisheriges Schaffen von Ludwig Laher

Der in Linz geborene und heute in Wien und St. Pantaleon lebende Ludwig Laher verbindet in seinen Büchern Akten- und Lebenslagen, indem er den Ton, in dem sich Verwaltung und Justiz den vielseitigen Problemen des Zusammenlebens nähern, aufgreift. Mit “Verfahren”, das es 2011 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte, lieferte er einen frühen Beitrag zur Asylrechtsdebatte, mit “Bitter” (2014) legte er eine exemplarische NS-Täterbiografie vor. Nun hat er sich in streng gesicherte Archivräume begangenen Unrechts begeben, wo mannigfaltige Beweisstücke auf ihr Vorzeigen bei Gerichtsverfahren und später auf ihre Vernichtung nach Ablauf der angemessenen Frist warten.

Das Coverfoto zeigt, in eine Schachtel geschlichtet, beispielhafte “Überführungsstücke”, u.a. einen Teddybären, Messer, Totschläger, ein Blaulicht und diverse Stempel. Es gibt nichts, was nicht im Zusammenhang mit einem Verbrechen beweiswürdig werden könnte. Zahlenmäßig am häufigsten werden Smartphones (“Manchmal komm’ ich mir wie ein Gebrauchttelefonshop vor.”) und Drogen sichergestellt und gelagert, letztere verursachen in den Lagerräumen allmählich einen zwar nicht betäubenden, aber doch höchst gewöhnungsbedürftigen Geruch, der dazu führt, dass Oskar Brunngraber meist den lieben langen Tag alleine seiner Arbeit nachgeht.

“Überführungsstücke”: Ein Querkopf, der fast Querulant wird

Diesmal ist es anders, diesmal hat der Herr Oskar einen interessierten Besucher, dem er – wie einst der Herr Karl – klar machen kann, wie der Hase so läuft. Denn nur die erste Zeit scheint das erzählerische Konzept auf der banalen Erkenntnis aufzubauen, dass hinter jedem der gelagerten Gegenstände eine Tat, ein Schicksal steht. Doch eigentlich interessieren den sich in eine Plaudertasche verwandelnden Justizbeamten die sprachlichen Feinheiten oder besser Ungereimtheiten der Akten wesentlich mehr als ihr Inhalt. Und je mehr Brunngraber Vertrauen in den Erzähler als seinen Zuhörer fasst, desto privater wird er. Dann schließt er seine persönliche “Kopfasservatenkammer” auf und lässt an der eigenen Familiengeschichte teilhaben.

Laher denunziert nicht, er differenziert. Aus dem schrulligen Beamten wird allmählich ein vielseitig interessierter, malender, auch kleinkünstlerisch begabter Eigenbrötler, der einerseits Vorschriften genau befolgt und sich dennoch nichts vorschreiben lassen will. Freilich aber auch kein Sympathieträger, sondern ein Querkopf, von dem aus der Weg zum Querulanten nicht weit sein dürfte. Und so bewegt sich das Buch weg von den Kriminalfällen hin zu einer Charakterstudie, die schon vor dem überraschenden Schluss für manche unerwartete Wendung sorgt. Laher klagt nicht an und will auch niemanden überführen. Stattdessen baut er Vertrauen auf und lässt reden. Das hat sich schon oft als beste Verhörmethode erwiesen.

Ludwig Laher: “Überführungsstücke”, Wallstein Verlag, 178 S., 20,50 Euro

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(apa/red)

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