Palästinenser sehen den Internationalen Strafgerichtshof als letzte Chance. Für Israel ist es dagegen ein Alptraum. Da eine politische Lösung des Nahost-Konflikts in weiter Ferne liegt, könnten nun die Richter in Den Haag sprechen.
Weg frei für Strafprozess gegen hohe Israelis
Jahrelang war das ausgeschlossen, denn weder Israel noch die palästinensischen Gebiete gehörten dem Weltstrafgericht an. Doch mit dem Beitritt zum 1. April kann Palästina ein Verfahren gegen Israel beantragen. Auch wenn Israel das Gericht nach wie vor nicht anerkennt, ist nun der Weg frei für einen Strafprozess gegen hohe Israelis wegen der Angriffe auf den Gazastreifen nach dem 13. Juni 2014.
Theoretisch…
Theoretisch zumindest. Denn dass ein Offizier Israels oder gar Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf der Anklagebank in Den Haag sitzen werden, scheint kaum vorstellbar.
Brisante Fälle: Den Haag stößt auf politische Hürden
Die Geschichte des Gerichtes zeigt, dass es in brisanten Fällen auf politische Hürden stößt. Gegen Sudans Staatschef Omar al-Baschir zum Beispiel wurde 2009 ein internationaler Haftbefehl wegen Verbrechen in Darfur erlassen. Doch kein Land will ihn ausliefern.
Westliche Staaten sehen gefährliche Lunte am Pulverfass
Das Gericht verfügt nicht über eine eigene Polizeitruppe und ist bei Vollstreckungen von Haftbefehlen auf die Mitarbeit seiner nun 123 Mitgliedsstaaten angewiesen oder des UN-Sicherheitsrates. Eine strafrechtliche Verfolgung Israels aber wird von vielen westlichen Staaten als gefährliche Lunte für das Pulverfass Naher Osten gesehen.
Androhung mit hoher politischer Brisanz
Doch schon die Androhung eines Verfahrens hat hohe politische Brisanz. Das weiß auch Israel. Nachdem Chefanklägerin Fatou Bensouda im Januar bereits Vorermittlungen zur Gewalt im jüngsten Gaza-Krieg eingeleitet hatte, reagierte Israel empört.
Mit allen Mitteln will das Land deutlich machen, dass es ein Rechtsstaat ist. Die Armee betont stets, dass sie alles tue, um zivile Todesopfer zu vermeiden. Israels Militärstaatsanwalt leitete bereits in sechs Fällen ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen israelische Soldaten ein.
Begrabene Hoffnung auf eine Verhandlungslösung
Die Palästinenser aber haben Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung weitgehend aufgegeben – insbesondere angesichts der Absage Netanjahus an eine Zwei-Staaten-Lösung und trotz seiner späteren Kehrtwende. Nun benutzen sie den Internationalen Strafgerichtshof als Druckmittel auf Israel: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas setzte im Februar ein Komitee ein, das in Den Haag die Anliegen der Palästinenser verfolgen soll.
Siedlungsbau und Gaza-Offensive
Gegenstand eines Verfahrens könnten der Bau von Siedlungen in den besetzten Gebieten sein und die Gaza-Offensive im Sommer 2014. Dabei wurden nach UN-Angaben mehr als 2000 Menschen, vorwiegend Palästinenser, getötet.
Der lange Weg zur Gerichtigkeit
Doch der Weg zur Gerechtigkeit ist lang. Das weiß auch Schawan Dschabarin, Leiter der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al Hak. “Es wird Zeit, professionelle Arbeit und Geduld brauchen. Aber der Schneeball rollt und kann nicht mehr gestoppt werden.”
Diese zwei Fragen sind entscheidend
Chefanklägerin Bensouda prüft nun zunächst die ihr übergebenen Informationen. Entscheidend dabei sind zwei Fragen. Wurden Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen? Und: Ist das Gericht überhaupt zuständig?
Wenn sie beide Fragen mit Ja beantwortet hat, kann ein offizielles Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Dafür braucht die Anklage einen richterlichen Beschluss.
Zeugen, Spuren, Dokumente
Dann beginnt die eigentliche Arbeit: Zeugen werden befragt, Spuren gesichert, Dokumente ausgewertet. Die Anklage braucht Beweise, wer für die mutmaßlichen Verbrechen verantwortlich ist. Das Gericht verfolgt keine Staaten, sondern die Hauptverantwortlichen in Militär oder Politik.
Es ist ein langer und mühsamer Weg. Dennoch wäre jeder Schritt der Ankläger schädlich für das Ansehen Israels und könnte auch den politischen Druck auf die Regierung erhöhen.
Schnitt ins eigene Fleisch?
Doch das gilt auch für die Palästinenser. Mit dem Gang nach Den Haag könnten sie sich auch ins eigene Fleisch schneiden. Denn die Anklage kann alle möglichen Kriegsverbrechen im neuen Mitgliedsstaat untersuchen – egal, wer sie begangen hat. So geraten auch die militanten Kämpfer der im Gazastreifen herrschenden Hamas ins Visier der Justiz.
Schurat Hadin will Abbas vor Weltstrafgericht sehen
Das israelische Rechtszentrum Schurat Hadin will nicht nur ranghohe Mitglieder der Hamas, sondern auch Palästinenserpräsident Abbas vor das Weltstrafgericht bringen. Nicht nur militante Kämpfer der Hamas, sondern auch der Fatah von Abbas hätten israelische Zivilisten während des Gaza-Kriegs mit Raketen beschossen, argumentiert die Organisation. (dpa)