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Interview mit Ex-Außenministerin Plassnik zum EU-Vorsitz: "Nationale Extrawürste bringen nichts"

Ex-Außenministerin Plassnik im Interview
Ex-Außenministerin Plassnik im Interview ©APA
Im Interview mit der Austria Presse Agentur (APA) gibt die ehemalige Außenministerin und bisher letzte österreichische Ratsvorsitzende, Ursula Plassnik, ihre Erwartungen zur kommenden dritten österreichische EU-Ratspräsidentschaft preis. 

“Nationale Extrawürste bringen nichts, wohl aber die zähe Arbeit an gemeinsamen europäischen Fortschritten”, betont sie im APA-Interview, weiters erwartet sie sich “höchste Professionalität und europäische Leidenschaft” beim Vorsitz.

Interview mit Ursula Plassnik zum kommenden EU-Vorsitz Österreichs

“Der Vorsitz ist eine Dienstleistung für die Familie Europa, keine Profilierungsschau”, unterstreicht die Ratsvorsitzende des ersten Halbjahres 2006. Diplomatisch äußert sich die aktuelle österreichische Botschafterin in Bern zum Ansatz von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die EU mit kantigen Ansagen zu einem Kurswechsel zu bringen. Die meisten Themen auf EU-Ebene hätten “schon eine kurvenreiche Vergangenheit und einen langen Bart”, und nationale Interessen seien mit dem gesamteuropäischen Interesse in Einklang zu bringen, gibt sie zu bedenken. “Sie brauchen die Überzeugungskraft der besseren Argumente, sonst setzen sie sich nicht durch.”

Die österreichische Ratspräsidentschaft 2006 war eine der letzten, bei der die jeweiligen nationalen Regierungsvertreter noch tatsächlich das Gesicht der EU waren. Seit 2009 haben EU-Gipfel und EU-Außenministerräte ständige Vorsitzende. Trotz der geringeren “Sichtbarkeit” gebe es aber immer noch “beträchtlichen Raum für Akzentsetzungen durch den Vorsitz”, meint die langjährige enge Vertraute des früheren Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel (ÖVP).

Für den österreichischen Vorsitz 2006 sei es “eher ein Vorteil” gewesen, dass die Regierungsmitglieder schon länger im Amt gewesen seien (das Kabinett Schüssel II wurde im Jahr 2002 gebildet). “Jeder EU-Vorsitz ist ein Teamspiel, da hilft es, wenn jeder schon auf EU-Ebene die Partner und Themen kennt und optimal vernetzt ist”, betont Plassnik. Die damalige schwarz-blaue (ab 2005 schwarz-orange) Regierung habe sich der Aufgabe “mit voller Kraft gewidmet”. Die FPÖ-Regierungsmannschaft sei dabei “nicht mit seltsamen Positionierungen aufgefallen, sondern war ein durchaus konstruktiver Mitarbeiter”.

Plassnik habe “einige Fleißaufgaben” gemacht

Die damalige Ratspräsidentschaft habe auch “einige Fleißaufgaben” gemacht, verweist Plassnik etwa auf den viel beachteten Kulturschwerpunkt (“Cafe d’Europe”, “Sound of Europe”). Sie selbst habe die damalige Vorsitzarbeit “von der grundlegenden Bedeutung der europäischen Einigung für Österreich überzeugt”. Österreich habe die EU im Jahr 2006 “in einem Zustand von Verzagtheit und Verunsicherung” übernommen. Die größte Herausforderung sei gewesen, “wieder alle 28 an einen Tisch zu bringen, um konstruktiv über Zukunftsfragen zu reden”, erinnert Plassnik an die Pattsituation nach der Ablehnung der EU-Verfassung in den Niederlanden und Frankreich. “Es war weniger ein Vorsitz der spektakulären Durchbrüche, mehr das hartnäckige Drehen an vielen Schrauben.”

Schon ab “Tag 1” sei der Vorsitz auch mit der russisch-ukrainischen Gaskrise konfrontiert gewesen, die inmitten des Winters die Gasversorgung der EU infrage stellte. Auf die Frage nach der größten Überraschung für den Ratsvorsitz nennt Plassnik die Karikaturenkrise im Februar 2006. Der Umgang mit den Protesten gegen Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung sei eine “Bewährungskrise für die europäische Wertegemeinschaft” gewesen. Man habe nämlich Solidarität mit Dänemark üben, aber auch mit der arabischen und muslimischen Welt “in Verbindung bleiben” müssen.

Auch wenn sich in den vergangenen zwölf Jahren europapolitisch viel geändert hat, sieht Plassnik doch eine wesentliche Konstante. “Die europäische Einheit ist immer harte Arbeit und unablässiger Kampf gegen Widerstände. Eine echte Führungsaufgabe. Nichts läuft von selbst”, stellt die langjährige Diplomatin fest. Ihren beiden Nachfolgern als Koordinatoren des österreichischen Ratsvorsitzes, Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) und Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ), gibt sie einen knappen und doch umfassenden Tipp für ihre Tätigkeit: “Zusammenhalten und Zusammenführen.”

Das Interview im Wortlaut

APA: Was war der größte Erfolg des österreichischen EU-Ratsvorsitzes 2006?

Plassnik: Die EU war im 1. Halbjahr 2006 in einem Zustand von Verzagtheit und Verunsicherung. Im Sommer 2005 hatten die Franzosen und die Niederländer in Volksabstimmungen den mühsam ausverhandelten EU-Verfassungsvertrag abgelehnt. Der Kampf um das EU-Budget hatte tiefe Wunden hinterlassen. Der österreichische Vorsitz hat dann mit viel Geduld und Fantasie wieder Vertrauen aufgebaut. Es war weniger ein Vorsitz der spektakulären Durchbrüche, mehr das hartnäckige Drehen an vielen Schrauben. Nach dem Motto “Dienen statt Feiern”.

Was war aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung?

Wieder alle 28 an einen Tisch zu bringen, um konstruktiv über Zukunftsfragen zu reden. Vertrauen zu schaffen, um damit den Weg für den Vertrag von Lissabon freizuschaufeln. Dazu viel Krisenmanagement bei unterschiedlichen Sachthemen. So begann der Tag 1 unseres Vorsitzes mit der Energiekrise zwischen Russland und der Ukraine. Dann im Februar die dänische Karikaturenkrise. Das schwierige Verhältnis mit den USA nach dem Irakkrieg. Die Kosovokrise. Auch logistische Herausforderungen waren zu meistern, etwa der EU-Lateinamerika-Gipfel in Wien.

Ratsvorsitze werden ja längere Zeit im Voraus geplant. War es von Vorteil, dass die damalige Regierung schon länger im Amt war?

Aus meiner Sicht war das eher ein Vorteil. Jeder EU-Vorsitz ist ein Teamspiel, da hilft es, wenn jeder schon auf EU-Ebene die Partner und Themen kennt und optimal vernetzt ist.

Mit unvorhergesehenen Ereignissen (z.B. außenpolitische Krisen) muss man ja immer rechnen. Aber gab es etwas, was Sie wirklich überrascht hat? Und wie sah die Reaktion aus?

Die Karikaturenkrise hat uns alle in ihrer Heftigkeit überrascht. Da waren die EU-Außenminister gefragt. Einerseits galt es, Solidarität mit Dänemark unter Beweis zu stellen. Andererseits mussten wir mit unseren Partnern in der arabischen und muslimischen Welt in Verbindung bleiben. Die genaue Linie zwischen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit ganz konkret zu definieren war eine Bewährungsprobe für die europäische Wertegemeinschaft. Also auch ein Stück Arbeit an einer europäischen Identität. Außenpolitisch war der Sieg der Hamas bei den Legislativwahlen der Palästinenser Ende Jänner 2006 eine unvorhergesehene Weichenstellung. Sie wirkt bis heute nach, seitdem haben keine Wahlen mehr stattgefunden. Für die junge europäische Außenpolitik eine komplexe Herausforderung.

Stimmt die Einschätzung, dass der EU-Ratsvorsitz heute weniger bedeutend ist als vor dem Lissabon-Vertrag oder ist das eine oberflächliche Betrachtungsweise?

Durch die Umsetzung des Vertrages von Lissabon wurden einige Kernaufgaben neu verteilt. Bei den Regierungschefs, den Außenministern und in der Eurogruppe führt beispielsweise nicht mehr das Vorsitzland den Vorsitz. Damit verringert sich die Sichtbarkeit. Medien und Öffentlichkeit schauen auf (EU-Ratspräsident) Donald Tusk, (EU-Außenbeauftragte) Federica Mogherini und (Eurogruppen-Chef) Mario Centeno. Trotzdem gibt es noch immer beträchtlichen Raum für Akzentsetzungen durch den Vorsitz.

Wenige Monate nach dem Ratsvorsitz 2006 wurde die damalige Bundesregierung bei Nationalratswahlen abgewählt. Das hatte natürlich viele Gründe, aber würden Sie sagen, dass auch der Ratsvorsitz (der die Kräfte der Regierungsmitglieder stark gebunden hat) dazu beigetragen hat?

Sicher hat der EU-Vorsitz nach altem Muster viel Energie gebunden. Die ganze Regierungsmannschaft hat sich dieser Aufgabe mit voller Kraft gewidmet. Und sicher auch einige Fleißaufgaben gemacht, etwa die legendäre Salzburger Kulturkonferenz “Sound of Europe”, die Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten und das “Café d’Europe” in allen EU-Hauptstädten am Europatag. Aber das war eben auch Arbeit am europäischen Bewusstsein, an unserer gemeinsamen Identität. Viele haben gerade die Kulturdimension am österreichischen Vorsitz sehr geschätzt.

Seit 2006 hat sich europa- und außenpolitisch viel verändert. Trotzdem: Wo sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen der damaligen Lage (Sklerose nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages) und der heutigen Lage (Unsicherheit wegen des Brexit)?

Die europäische Einheit ist immer harte Arbeit und unablässiger Kampf gegen Widerstände. Eine echte Führungsaufgabe. Nichts läuft von selbst. Die Ungewissheiten sind enorm, damit muss jede Generation europäischer Politiker umgehen. Für Krisen gibt es ohnehin keine Gebrauchsanleitung in der Schublade.

Hat sich Ihre Sicht auf die Europäische Union durch die intensive Erfahrung des Ratsvorsitzes verändert. Wenn ja, in welcher Hinsicht?

Ja, mehr denn je hat mich die Vorsitz-Aufgabe von der grundlegenden Bedeutung der europäischen Einigung für Österreich überzeugt. Als Europäer können wir unsere Talente am besten entfalten. Nationale Extrawürste bringen nichts, wohl aber die zähe Arbeit an gemeinsamen europäischen Fortschritten. Der Vorsitz ist eine Dienstleistung für die Familie Europa, keine Profilierungsschau. Der Lohn ist die Anerkennung durch Partner und Bevölkerung.

Begrüßen Sie den Ansatz der von Bundeskanzler Sebastian Kurz geführten Regierung, die EU durch klare Worte und einen kantigeren Zugang (Stichwort Türkei, EU-Budget, Sozialleistungen für EU-Ausländer) zu dringend nötigen Reformen zu bewegen?

Plassnik: Jeder Politiker eines EU-Landes muss laufend abwägen, wie er die Interessen seines Landes am besten mit dem gesamteuropäischen Interesse in Einklang bringt. Die größte Verantwortung tragen dabei naturgemäß die Regierungschefs, sie geben die Linie vor, setzen den Ton, schaffen den Ausgleich. Sie brauchen die Überzeugungskraft der besseren Argumente, sonst setzen sie sich nicht durch. Und sie übernehmen die Staffel von denen, die vor ihnen gearbeitet haben. Die meisten Themen haben ja schon eine kurvenreiche Vergangenheit und einen langen Bart wie das Verhältnis EU-Türkei oder EU-Russland, die EU-Finanzen, die Subsidiarität. Die FPÖ-Mannschaft ist übrigens 2006 nicht durch seltsame Positionierungen aufgefallen sondern war ein durchaus konstruktiver Mitarbeiter.

Was erwarten Sie sich konkret vom österreichischen Ratsvorsitz 2018?

Höchste Professionalität und europäische Leidenschaft.

In einem Satz: Welchen Tipp würden Sie Ihren beiden Nachfolgern als Koordinatoren des österreichischen Ratsvorsitzes, Karin Kneissl und Gernot Blümel, mit auf den Weg geben?

Zusammenhalten und Zusammenführen.

(Das Interview wurde in schriftlicher Form per E-Mail geführt, die Fragen stellte Stefan Vospernik /APA /Red.)

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