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Hohe Kunst

In der Dorfmitte von St. Christoph am Arlberg befindet sich der Gebäudekomplex des traditionsreichen Hospiz-Hotels.
In der Dorfmitte von St. Christoph am Arlberg befindet sich der Gebäudekomplex des traditionsreichen Hospiz-Hotels. ©Petra Rainer
St. Christoph am Arlberg. Die höchstgelegene Kunsthalle der Alpen wurde vor Kurzem in St. Christoph am Arlberg eröffnet. Das ambitionierte Projekt versorgt Gäste am Arlberg mit kulturellem Programm und gibt dadurch dem „Après-Ski“ eine neue Bedeutung.
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Fast 1800 m über dem Meeresspiegel und direkt unter dem Arlbergpass gelegen, befindet sich der Fremdenverkehrsort St. Christoph. Prominent in dessen Mitte liegt der Gebäudekomplex des traditionsreichen Hospiz-Hotels, dessen Ursprünge bis in das 14. Jahrhundert zurückgehen. Als Schutzhütte errichtet, diente das Hospiz lange als Herberge und Gasthof für Reisende und wurde mit dem Aufkommen des alpinen Skisports und -tourismus‘ im 20. Jahrhunderts zum Hotel ausgebaut. Mittlerweile umfasst der Komplex neben dem 5-Sterne- Hotel weitere Gästehäuser mit luxuriösen Suiten und seit Kurzem auch eine unterirdische Kunsthalle mit Kammermusiksaal.

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1_3_G6B1961 ©Unterirdischer Neubau: Das Dach wächst aus der Erde und schlägt eine Welle zum Stammhaus. Foto: Petra Rainer

Oberhalb der Kunsthalle entstanden zeitgleich zwei „Landhäuser“ mit insgesamt 17 Hotelsuiten, über deren Verkauf die Errichtung des Kulturbaus finanziert wurde. Hotelier und Unternehmer Florian Werner beschäftigt sich seit knapp zehn Jahren leidenschaftlich mit Kunst: aktiv als Künstler und passiv als Sammler und Mäzen. Bereits 2008 eröffnete er in seinem Hotel die „Hospiz Galerie“ für zeitgenössische Kunst und richtete ein Artist-in-Residence-Programm für junge Kunstschaffende ein.

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1_4_G6B1944 ©Zwei neue „Landhäuser“ befinden sich oberhalb der Kunsthalle. Der Verkauf der Luxussuiten finanziert den Kulturbau. Foto: Petra Rainer

Die Idee, eine Ausstellungshalle und einen Musiksaal zu errichten, bildete sich langsam heran.„Als ich 2008 begonnen habe, stand nicht am Ende der Reise die Kunsthalle von St. Christoph. Es war eigentlich eine zufällige Entwicklung“, erklärt Florian Werner „Es bestand nie die Notwendigkeit einer Kunsthalle, sondern es war ein Wunsch. Dann ergab sich die Möglichkeit – und die habe ich wahrgenommen.“ Nach einem langen Entwicklungsprozess mit mehreren Konzeptstudien erreichte das Projekt eine für den Bauherren „perfekte Größe“, die er als realistisch bespielbar betrachtet.

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2_1_G6B1966 ©Eine einläufige Treppe führt vom Eingangsbereich hinab in das Foyer direkt auf die Information und die Kassa zu. Foto: Petra Rainer

Oberirdisch zeigt der Neubau nur sein Dach, das aus der Erde wächst und eine Welle zum Haupthaus des Hotels schlägt. Die straßenseitige Fassade ist wellenförmig mit Rohstahllamellen verkleidet. Neben Tiefgaragenabfahrt und Anlieferungszufahrt liegt nach innen versetzt – und somit vor Schnee und Regen geschützt – der Haupteingang zum Kulturbau. Verglasungen erlauben an dieser Stelle Einblicke in die unterirdische Kunsthalle und den ebenerdigen Erschließungsbereich. Eine einläufige Treppe führt von hier aus hinab in das Foyer direkt auf Information und Kassa zu. Von der Rezeption des Hospiz-Hotels gelangt man über einen unterirdischen Verbindungsgang ebenfalls direkt in das Foyer.

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2_2_T1A9022 ©Hotelier Florian Werner bietet seinen Gästen in der neuen Kunst- und Musikhalle kulturelles Programm und definiert dadurch „Après-Ski“ neu. Foto: Petra Rainer

Die große Ausstellungshalle, von Bauherr Florian Werner liebevoll „Kathedrale“ genannt, ist acht Meter hoch und soll mit halbjährlich wechselnden Schauen bespielt werden. Die Ausstellungsräume sind flexibel gestaltet und können unter anderem auch für Kongresse und Tagungen vermietet werden. Abgerundet wird das Raumprogramm durch Musik- und Kunstateliers für eingeladene Artists-in-Residence, die im Hotel wohnen und in den zur Verfügung gestellten Studios arbeiten können.

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2_3_G6B2011 ©Die große Ausstellungshalle ist acht Meter hoch und soll mit halbjährlich wechselnden Schauen bespielt werden. Über die Verglasung gelangt Tageslicht in den unterirdischen Bau. Foto: Petra Rainer

Die minimalistische Gestaltung der Räumlichkeiten rückt die Kunst in den Mittelpunkt. Dies wird durch eine zurückhaltende Materialwahl und Farbgebung erreicht: weiß gekalkte oder geölte Eiche, anthrazitfarbene Fliesen, betonfarbener Tonputz, weiße Wände und Decken – hell, unaufgeregt und klar.

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Mit seiner Holzverkleidung aus hellen Eichenlamellen erinnert der Konzertsaal an das Innere eines Schiffsbauchs.

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Oben schält sich die Galerie schwungvoll aus der Wandfläche heraus und geht auf der anderen Seite wieder in die Wand über. Die Decke folgt dem Verlauf des oberirdisch liegenden Daches. Die weichen, bewegten Formen stehen laut dem Tiroler Architekten Jürgen Kitzmüller für die Dynamik der Musik. Die Seitenwände des Konzertsaals wurden als dreidimensionale Konstruktion vollständig entkoppelt von den Massivbauteilen ausgeführt. „Die beiden frei schwingenden Schalen sind vollflächig aus Stahl und zusätzlich mit Gipsplatten verstärkt, um mehr Masse zu erhalten, die wir für die Akustik brauchen“, erklärt der Architekt den Raum als Resonanzkörper.

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2_6_G6B2042 ©Der Konzertsaal spielt alle Stückchen. Ausgestattet mit moderner Licht-, Sound- und Videotechnik, ist er für Veranstaltungen jeglicher Art gerüstet. Foto: Petra Rainer

„Die Wände tragen den Klang bis in die letzte Reihe, ohne dass dabei Tonqualität verloren geht.“ Die Bühnenwand ist reflektierend und wirkt wie ein Verstärker; die Rückwand ist absorbierend, schluckt also den Schall. Hier und im angeschlossenen Musikstudio finden regelmäßig Konzerte – von Klassik über Volks- und Popmusik bis zu Jazz – sowie Kabarett- und Literaturveranstaltungen statt. Ob das Konzept von Kunst und Kultur im Wintersportort aufgeht, wird sich zeigen. Hotelier Werner ist aber mehr als zuversichtlich: „Das ist eine neue Definition von Après-Ski. Es ist natürlich eine Entwicklungssache, es braucht Zeit und Durchhaltevermögen. Aber es wird werden, davon bin ich felsenfest überzeugt.“

Daten und Fakten

Objekt: arlberg 1800, Kunsthalle und Konzertsaal, St. Christoph am Arlberg, Tirol, www.arlberg1800.at
Eigentümer/ Bauherr: Florian Werner, St. Christoph am Arlberg, Tirol
Architektur: Kitzmüller Architektur, Absam, Tirol,
Statik: Aste-Weissteiner ZT, Innsbruck, Tirol,
Fachplaner: Bauphysik: BDT, Frastanz; Akustik: Dr. Pfeiler GmbH, Graz; Haustechnikplanung: A3 Haustechnik GmbH, Innsbruck
Planung: 3/2013–12/2014
Ausführung: 6/2014–12/2015
Konzertsaal: 226 m²
Ausstellungsfläche: 986 m²
Nebenräume: 260 m²
Bauweise: Stahlbetonbau mit Fertigteilwänden, Ortbetondecken, Hohldielendecken über Konzertsaal und Ausstellungsraum; Böden: geschliffener Estrich, Fliesen (Kunsthalle), Parkett (Konzertsaal); Wände: gespachtelt; Decken: abgehängte Akustikdecken aus Gipskarton
Ausführung: Projektsteuerung: PD Projektdevelopment, Lendorf; Baumeister: Strabag, Innsbruck; Zimmerer: Muxel Holzbau, Au; Tischler: Kamper, Tillmitsch; Stahlbau: Lanz Metall, Toblach; Schlosserei: Moosbrugger, Au; Trockenbau: Pagitsch, Tamsweg; Beleuchtung: Zumtobel, Dornbirn; Heizung/Lüftung: Dorfinstallateur, Feldkirch; Dietrich, Kirchbichl; Elektro: Fiegl&Spielberger, Innsbruck
Energiekennwert: 154 kWh/m² im Jahr
Baukosten: ca. 9,5 Mill. Euro (Tiefgarage, Kunsthalle, Musiksaal, Technik)


Quelle: Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der “Vorarlberger Nachrichten”

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

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