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Salzburger Grenzfall – Großvenediger als schmelzende Majestät

An der Gletscherkappe des 1841 erstmals bestiegenen Großvenedigers nagt der Zahn der Klimaerwärmung.
An der Gletscherkappe des 1841 erstmals bestiegenen Großvenedigers nagt der Zahn der Klimaerwärmung. ©Bilderbox
Dem Großvenediger, Salzburgs höchster Gipfel, macht die Klimaerwärmung schwer zu schaffen. An der Gletscherkappe des 1841 erstmals bestiegenen Großvenedigers nagt der Zahn der Klimaerwärmung. Auch an Kuriositäten ist die Schmelzende nicht arm.

Einige Beispiele gefällig? Ein sagenumwobener Name, der bis zur Glasbläserinsel Murano führt, ein stetig schrumpfender Gipfel, auf dem Kreuze umfallen, Türkenzelte, die sich in Wasser auflösen, ein Erzherzog, der mit der Erstbesteigung scheiterte sowie ein weiterer – erfolgreicher – Versuch über eine Zeitungsannonce, wie dieser aktuelle Salzburger Grenzfall verrät.

Eines ist er zweifellos: Der Großvenediger ist mit seinen zuletzt im Jahr 2014 gemessenen 3.657 Metern Lebendgröße die höchste unter Salzburgs Erhebungen. Im Österreich-Ranking belegt der Oberpinzgauer Grenzberg zu Osttirol den fünften Rang, seitdem die 3.721 Meter hohe Glocknerwand neuerdings als eigener Berg gewertet wird.

Geheimnisvolle Südländer

Seinen heutigen Namen verdankt der früher als Stützerkopf, Sulzbacher oder Keeskogel bezeichnete Berg höchstwahrscheinlich für die Einheimischen exotischen durchziehenden Händlern aus Oberitalien. Schon halb ins Sagenreich gehören die “Venedigermandeln”, geheimnisvolle Venezianer, die auf der Suche nach edlen Metallen und Steinen, waren – im Gegensatz zu ihren heutigen Nachfahren, die mehr an Pilzen Gefallen finden. Begehrt waren auch „Zutaten“ für das exklusive Murano-Gals, dessen Zusammensetzung unter Todesstrafe nicht verraten werden durfte. Gänzlich sagenhaft ist jedenfalls der Blick vom Venedigergipfel bis zur gleichnamigen Stadt an der Adriaküste. Bis zum Kirchturm von Jochberg im Tirolischen reicht die Fernsicht aber.

Später Sieg nach mehreren Anläufen

Bestiegen wurde der seit 1797 unter diesem Namen verzeichnete Berg vergleichsweise spät, wenn man bedenkt, dass 1800 bereits Menschen auf den Großglockner gelangt waren. Der Bramberger Förster Paul Rohregger machte 1810 den ersten Versuch im Alleingang, erreichte den 3.468 Meter hohen Kleinvenediger und musste erst in Gipfelnähe wegen einer unüberwindbaren Gletscherspalte und des dichten Nebels umkehren. Erzherzog Johann, Enthusiast der Ländlichkeit und der Berge, unternahm 1828 mit einer 15-köpfigen Gruppe den zweiten Anlauf über die vergletscherte Nordwestwand.

Bergsteiger-Boom und Berg-Rekorde

Spätestens ab dem Ende des 19. Jahrhunderts setze die touristische Erschließung des Großvenedigers voll ein, das Hüttenangebot wuchs kräftig, Maler und Fotografen verbreiteten den Mythos “Großvenediger” bildreich in aller Welt, ab 1898 konnten Bergsteiger mit der Pinzgaubahn anreisen. Sieben Jahre zuvor stand mit der Thalgauerin Maria Gaertner die erste Frau auf dem Gipfel, 1900 erfolgte die erste Winterbesteigung. Weltwirtschaftskrise und Tausend-Mark-Sperre beendeten den Boom auf Salzburgs höchstem Berg. Karl Sollerer, Bergführer und Hüttenwirt der Kürsingerhütte von 1964 bis 1973, ist mit 850 Besteigungen der mutmaßliche Rekordhalter, der Bergretter und Schuhmachermeister Karl Fuchs mit 85 Jahren der wohl älteste Venedigerbesteiger.

Schmelzende Majestät

Dennoch ist nichts von Bestand. Die Venedigergruppe ist als am stärksten vergletscherte Gebirgsgruppe in den Hohen Tauern stark vom Klimawandel betroffen. Das Obersulzbachkees maß Ende der 1960er Jahre noch elf Quadratkilometer. Seit 1850 ist die Gletscherzunge um mehr als drei Kilometer zurückgegangen und hat eine Milliarde Kubikmeter an Masse verloren, das Untersulzbachkees büßte allein im Jahr 2002 20,5 Meter an Länge ein. Die von Kürsinger “Türkische Zeltstadt” getauften bizarren Eisformationen mit weit aufragenden Kegeln und Zacken im hinteren Obersulzbachtal ist nur noch fotografische Erinnerung und längst als Schmelzwasser in die Salzach gelangt. Am augenscheinlichsten wird dies am Gipfel, der in den vergangenen zehn Jahren sieben Meter an Höhe einbüßte. Damit verlor auch das 1982 errichtet Gipfelkreuz seinen Halt und musste 2012 auf 7,5 Tonnen Felsbrocken, die per Hubschrauber auf den Gipfel geflogen wurden, neu verankert werden. Die verlorenen Höhenmeter wurden damit allerdings nicht wieder wettgemacht.

Kurioses über Grenzen hinweg

Die Salzburger Grenzfälle versammeln Kuriositäten rund um die Grenzen Salzburgs und bilden eine aufschlussreiche Lektüre zu Geschichte, Landeskunde und Politik des Bundeslandes. Der Autor Stefan Mayer beschäftigt sich seit 2002 mit grenzfälligen Besonderheiten in und um Salzburg. Er gestaltet die monatliche Serie “Grenzfälle”, von der bereits drei Bücher erschienen sind. Die Bücher sind vergriffen, digitale Versionen stehen im Webshop des Landes zum kostenlosen Download zur Verfügung.

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