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"Grexit" ist in Brüssel kein Tabu mehr - Athen will neuen Antrag auf Hilfen stellen

Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos hat wider Erwarten den Euro-Finanzministern keine schriftlichen Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise präsentiert.
Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos hat wider Erwarten den Euro-Finanzministern keine schriftlichen Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise präsentiert. ©AP
Griechenlands Premier Tsipras hat zwar das Referendum gewonnen. Doch zur EU kommt er als Bittsteller, nicht als Sieger. Athen wolle nun einen neuen Antrag auf Hilfen stellen, hieß es aus Diplomatenkreisen. Schriftlichen Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise präsentierte der neue griechische Finanzminister angeblich wider Erwarten nicht. Rede und Antwort soll Tsipras am Mittwoch im EU-Parlament stehen.

Geschlossene Banken, die Wirtschaft im freien Fall – die Europartner sind in Griechenland mit einer ebenso dramatischen wie beispiellosen Lage konfrontiert. Die Wähler lehnten am vergangenen Wochenende mit deutlicher Mehrheit die Sparvorgaben der internationalen Geldgeber ab.

Doch Linkspremier Alexis Tsipras kann am Dienstag in Brüssel – anders als zu Hause – nicht als Sieger auftreten. Denn es ist unklar, ob noch weitere Milliardenbeträge zur Rettung seines Landes fließen werden.

In Delegationskreisen hieß es, die Gespräche könnten am Wochenende fortgesetzt werden. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem kündigte eine Pressekonferenz in Kürze an.

EU-Diplomaten: Griechen wollen neuen Antrag auf Hilfen stellen

Aus Diplomatenkreisen hieß es am Dienstag, Griechenland wolle einen neuen Antrag auf Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM stellen. Die Euro-Finanzminister seien der Auffassung, dass ein neuer Antrag mit glaubwürdigen Reformvorschlägen her müsse. Griechenland habe dem zugestimmt, berichteten Diplomaten am Rande eines Treffens der Euro-Finanzminister in Brüssel. Zuvor war davon ausgegangen worden, dass Griechenland den Euro-Finanzministern ein neues Papier auf der Grundlage des letzten, bereits überholten Vorschlages macht.

Griechen in Brüssel ohne Konzept

Wider Erwarten hatte der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos den Euro-Finanzministern am Dienstag jedoch keine schriftlichen Vorschläge zur Lösung der Schuldenkrise präsentiert.

Tsipras hatte Ende Juni um ein zweijähriges Hilfsprogramm mit Krediten des Euro-Rettungsfonds ESM in Höhe von rund 29 Mrd. Euro ersucht, um die Zahlungsverpflichtungen des Landes erfüllen zu können.

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Tsipras soll am Mittwoch Rede und Antwort stehen

Eu-Parlamentspräsident Martin Schulz bestätigte indes auf Twitter, Tsipras wolle am morgigen Mittwoch dem EU-Parlament in Straßburg Rede und Antwort zur griechischen Schuldenkrise stehen.

Zuvor hatte ALDE-Fraktionsvorsitzender Guy Verhofstadt Schulz aufgefordert, Tsipras für Mittwochvormittag einzuladen. Dann wollen die Abgeordneten gemeinsam mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk über die griechische Schuldenkrise beraten.

Grexit wird zur “realistischen Möglichkeit”

Angesichts der Szenarien einer drohenden Staatspleite ist bei einigen Partnern ein Austritt Griechenlands aus dem Eurogebiet kein Tabu mehr. Mehrere Euro-Finanzminister nennen den “Grexit” als einen Weg: “Das ist eine realistische Möglichkeit”, meint der maltesische Ressortchef Edward Scicluna. Das G-Wort wird in den Mund genommen – noch vor kurzem war in der Runde etwas verschämt von sogenannten Plan B die Rede gewesen.

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Juncker: “Niemand darf die Griechen hinauswerfen wollen”

Die mächtige EU-Kommission sieht sich seit Beginn der seit Monaten dauernden Krise als Vermittler und bemüht sich darum, hohe Wogen zu glätten. Doch auch aus der Behörde kommen inzwischen unterschiedliche Signale. Ihr Chef Jean-Claude Juncker bleibt kategorisch: “Niemand darf die Griechen hinauswerfen wollen”, lautet sein Credo.

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Einer seiner Stellvertreter, der konservative Valdis Dombrovskis aus Lettland, strebt zwar auch keinen “Grexit” an, schränkt aber ein: “Falls jedoch Vertrauen nicht wieder aufgebaut wird, falls es kein glaubwürdiges Reformpaket gibt, kann das (der Grexit) nicht ausgeschlossen werden.”

Für einen Austritt Griechenland fehlt die Blaupause, die Europartner würden sich damit auf unbekanntes Terrain begeben. Ein weiterer schwerer Wirtschaftseinbruch und ein Verarmen der Menschen machen diese Option vermutlich zur teuersten.

EU-Währungskommissar: Grexit “wäre ein kollektiver Fehler”

Diese Schreckens-Variante im Schuldendrama kann auch nicht offiziell beschlossen werden, da rechtliche Grundlagen fehlen. De facto würde Athen austreten, falls dort angesichts von Geldnot die Druckerpresse für eine neue Währung angeworfen würde. “Ein “Grexit” wäre ein schrecklicher und kollektiver Fehler”, warnt EU-Währungskommissar Pierre Moscovici.

Die Griechenland-Krise hat inzwischen eine solche Dimension erreicht, dass sie eigentlich nur noch von den Staats- und Regierungschefs der 19 Euroländer gelöst werden kann. Kommissionschef Juncker wollte beim Sondergipfel am Abend dafür sorgen, dass der Gesprächsfaden mit Griechenland nicht abreißt.

In Brüssel wird Regierungschef Tsipras immer noch übelgenommen, bei der Volksabstimmung eine falsche Frage gestellt zu haben. Diese habe auf einem Hilfsprogramm beruht, das bereits abgelaufen war, lautet der Vorwurf.

Verschärfte Bedingungen: Warnschuss der EZB

Auch der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, eilte zum Gipfel. Der Italiener hatte im Schuldendrama eine Schlüsselrolle. Die Frankfurter Notenbank zog unmittelbar vor dem Spitzentreffen die Daumenschrauben an. Sie verschärfte die Bedingungen, zu denen sich griechische Banken Ela-Notkredite erhalten können. Ohne diese Finanzspritzen droht der Kollaps des Finanzsystems. Draghi habe damit den Druck auf die Politik verstärkt, eine Lösung für Griechenland zu finden, meinen Experten. (dpa/red)

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