Ghostletters entstehen überall da, wo Schriftzüge ehemaliger Geschäfte ihre Spuren hinterlassen. In Wien findet man davon gleich ein Vielzahl, sofern man aufmerksam durch die Straßen wandert.
Der Wiener Grafiker Tom Koch und die Fotografen Daniel Gerersdorfer und Stephan Doleschal haben sich auf die Suche nach den vormals stolzen Schriftzügen im öffentlichen Raum gemacht und diese in ihrem Buch “Ghostletters Vienna” festgehalten. Die Autoren schaffen damit eine Schnittstelle zwischen Typografie, Stadtgeschichte und kollektivem Gedächtnis.
Wien: Eine Stadt der Schilder-Tradition
Wussten Sie, dass die Schildermalerei ihre Wurzeln in den Schildern der Ritter hat? Auch Wirtshäuser griffen nach und nach auf eine Bebilderung zurück. Geschäfte folgten dem Trend und so eroberten Geschäftsschilder bald jede freie Fläche der Häuserfassaden. In Wien entwickelte sich die Schildermalerei zu einer regelrechten Kunstform: Von Wandmalereien über Geschäftsportale, vergoldete Ladenschilder und Hinterglas-Schriften bis hin zu Autobeschriftungen, Bautafeln und Feuermauern – die Aufgaben der Schildermaler waren vielfältig und bedurften spezifischen Fachwissens.
Auf über 150 Seiten bekommt der Leser Einblicke in die Tradition der Wiener Schildermalerei. Viele der in dem Buch festgehaltenen Ghostletters stammen aus den 1950er und 1960er Jahren und diese wurden damals noch von Hand skizziert und ausgemalt oder manuell aus verschiedenen Materialien wie Holz, Plexiglas oder Metall gefertigt. Besonderes Augenmerk wurde auf die diversen Schriftarten gelegt. Jeder angehende Schildermaler musste rund zehn Schriften freihändig malen können. Ausgehend davon wurden dann eigene, ausgefallene Schriftarten und Typen entworfen.
Den Ghostletters Vienna auf der Spur
Heutzutage ist es dank Computer, Automatisierung und moderner Technik um einiges leichter, Beschriftungen und Schriftzüge aller Art herzustellen. Genau deshalb kann man sich kaum vorstellen, dass all die alten Schriften mit nur wenigen Hilfsmitteln von Hand entstanden. Dennoch sind sie allgegenwärtig, selbst die Gussformen der Inschriften alter Gemeindebauten basieren auf den Modellen der Wiener Schildermaler.
Den Autoren ist klar, dass das Buch nur einen Ausschnitt der gegenwärtigen “Geister” vergangener Geschäfte vermitteln kann – das Ganze kann sozusagen als eine Art Wettlauf gegen die Zeit gesehen werden. Ständig verschwinden Ghostletters, täglich entstehen neue. “Uns wurde bei der Arbeit drastisch vor Augen geführt, wie rapide die Entwicklung voranschreitet, wie rasch die Individualität der Städte schwindet, handwerkliches Können und (leider auch) typorafisches Niveau den neuen Beschriftungsmethoden weichen müssen”, so Autor Tom Koch im Vorwort des Buches.
Über die Geschichte hinter den Fassaden
Fazit: Das Buch führt dem Leser vor Augen, wie sich das Wiener Stadtbild in den vergangenen Jahrzehnten wandelte. Viele kleine Geschäfte mussten schließen, ganze Straßenzüge verwaisten. Was zurückblieb sind Ghostletters auf den Häuser- und Geschäftsfassaden, die tapfer an längst vergangene Tage erinnern. Doch trotz voranschreitender Modernisierung dürfen einige der alten Schriftzüge ein Revival erleben: Manche Unternehmen setzen aus Tradition auch heute noch auf ihre gewohnten Schriftzüge und die Erhaltung der Fassaden. Das Bewusstsein für die schriftlichen Zeitzeugen wächst also. Denn Ghostletters sind – so formulieren es die Autoren treffend – vor allem eines: Teil der visuellen Identität Wiens.
Alle, die nun ebenfalls Lust an der Erkundung flüchtiger Zeitzeugen ehemals stolzer Geschäfte bekommen haben, können bei unserem Gewinnspiel mitmachen. Wir verlosen ein Exemplar von “Ghostletters Vienna”. Hier geht’s zum Gewinnspiel.
Buchtipp:
Verlag: Falter Verlag
Bilder: Daniel Gerersdorfer & Stephan Doleschal
Autor: Tom Koch (Hrsg.)
ISBN: 978-3-85439-590-4