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"Gedenkdienst nützlicher als Heer"

Hayri Can hat in Istanbul Sehnsucht nach den Bergen und nach Almdudler.
Hayri Can hat in Istanbul Sehnsucht nach den Bergen und nach Almdudler. ©handout/Hayri Can
Schwarzach - Hayri Can hat sich gegen den Dienst an der Waffe entschieden: Der gebürtige Vorarlberger mit türkischen Wurzeln leistet Gedenkdienst in einem jüdischen Krankenhaus in Istanbul.

Hayri war im Jüdischen Museum in Hohenems beschäftigt. Er leitete Türkisch-Führungen durch Ausstellungen über türkische Juden und wurde so auf die Thematik und den Auslandsdienst aufmerksam. Als erster Österreicher trat er den Gedenkdienst – ein österreichischer Wehrersatzdienst – in Istanbul an, um sich dort in einem Jüdischen Krankenhaus mit der Geschichte der türkischen Juden auseinanderzusetzen. „Die Nazizeit ist ein Teil der österreichischen Geschichte. Da ich ein Teil der Gesellschaft bin, muss ich mich auf dafür verantworten, was diese Gesellschaft gemacht hat“, erzählt Can. Der junge Mann arbeitet nun seit vier Monaten im jüdischen Or-ahayim Hospital in Istanbul. Zu seinen Aufgaben gehören Öffentlichkeitsarbeit, die Erforschung der Rolle der Türkei während des Nationalsozialismus und auch das Interviewen von Zeitzeugen. Außerdem bereitet der Schwarzacher ein weiteres Projekt vor: „Ich arbeite gerade an einer Ausstellung, in der ich türkische Jugendliche über die Ereignisse im Dritten Reich informieren will. Ich übersetze vieles ins Türkische, suche österreichische und deutsche Stiftungen, die mit uns zusammenarbeiten wollen und spreche mit Schulleitern über das geplante Projekt.” Außerdem recherchiert Hayri im Moment auch noch die Rolle der Türkei im zweiten Weltkrieg in Bezug auf die Juden: „Türkische Diplomaten gaben damals mehreren Tausend Juden im Ausland türkische Pässe, um sie vor dem Tod zu bewahren. Das weckt das Interesse der Türken hier ganz besonders.“

Als Moslem Gedenkdienst in einem jüdischen Krankenhaus?

Hayri Can sei schon sehr oft gefragt worden, warum er als Moslem einen Gedenkdienst leistet, bei dem es um Juden geht: „Mein Ziel ist es, die Menschen auf die Gräueltaten des Dritten Reiches aufmerksam zu machen und aufzuzeigen, dass so etwas überall und jedem passieren kann. Außerdem möchte ich zeigen, dass der österreichische Staat hier sehr viel getan hat und auch immer noch tut, um die Bevölkerung über die schattigen Seiten seiner Geschichte aufzuklären. Der Holocaust war ein Anschlag auf die Menschheit, da Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Rasse, Religion oder Gesundheit ermordet wurden. Ganz gleich ob Muslime, Christen, Juden oder Atheisten. Jeder sollte aus Liebe zum Menschen zumindest einen kleinen Beitrag leisten, damit die nächste Generation dies nicht vergisst.“

Kritische Stimmen werfen Gedenkdienstleistenden immer wieder vor, dass sie das nur machen, um das Bundesheer bzw. den herkömmlichen Zivildienst zu umgehen. Hayri ist anderer Meinung: „Ich meine, wenn jemand ins Bundesheer gehen will, soll er es tun. Das ist sein volles Recht. Ich bin der Meinung, mit einem Gedenkdienst, vor allem in Istanbul, bin ich für die Gesellschaft und für mich selbst nützlicher. Mit einem Auslandsdienst gewinnt auch unser Staat an Ansehen. Wir haben jetzt zum Beispiel vor, mit dem österreichischen Kulturforum Istanbul ein gemeinsames Projekt zu machen. Wir sollen Brücken bauen, uns kennenlernen, gegenseitig respektieren. Und genau das versuche ich hier zu erreichen.“ Hayri bietet allen Jugendlichen, die einen Gedenkdienst in Erwägung ziehen, die Möglichkeit, unter hayri.can@auslandsdienst.at mit ihm in Kontakt zu treten.

DEFINITION

“Gedenkdienst” ist eine politisch unabhängige, überkonfessionelle Organisation, die sich mit den Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen auseinander setzt. Seit 1992 entsendet Österreich Freiwillige in Länder, in denen die Nazis und ihre HelferInnen Verbrechen begingen, oder in denen Überlebende der Mordmaschinerieheute leben.

Einjähriger Dienst

Die Gedenkdienstleistenden betreuen während ihres einjährigen Dienstes Jugendliche, pflegen alte Menschen oder arbeiten in Archiven und Museen. Männern wird ihr Einsatz von der Republik Österreich als Zivilersatzdienst weitestgehend finanziert, Frauen wird der Dienst aus Mitteln des Geschwister-Mezei-Fonds gefördert.

Gedenkdienst in der ganzen Welt

Im Jahrgang 2011/12 sind 20 Zivilersatzdiener und eine durch den Geschwister-Mezei-Fonds geförderte Freiwillige an 19 Stellen in Europa, USA, Israel und Südamerika entsandt. Den Bewerbern stehen alle Einsatzstellen offen. Infos: www.gedenkdienst.at.

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