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Großfahndung nach Tunesier nach Anschlag in Berlin

Der Breitscheidplatz bleibt jedoch abgeriegelt
Der Breitscheidplatz bleibt jedoch abgeriegelt ©APA (AFP)
Nach dem Lastwagen-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz sucht das Bundeskriminalamt öffentlich nach einem Verdächtigen. Im Auftrag des Generalbundesanwalts wurde der 24-jährige Tunesier Anis Amri zur öffentlichen Fahndung ausgeschrieben, teilte die Karlsruher Behörde am Mittwoch mit.

Nach dem Terroranschlag in Berlin bittet die Bundesanwaltschaft die Öffentlichkeit um Mithilfe bei der Fahndung nach dem mutmaßlich tunesischen Verdächtigen Anis Amri. Für Hinweise wurden bis zu 100 000 Euro Belohnung ausgeschrieben. Der Generalbundesanwalt mahnte am Mittwoch in einer Mitteilung in Karlsruhe aber auch zur Vorsicht: “Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!” Amri ist als islamistischer Gefährder bekannt. Der 24-jährige geborene Tuensier sei 1,78 Meter groß, wiege circa 75 Kilo, habe schwarze Haare und braune Augen. Wer den Gesuchten sieht, soll die Polizei benachrichtigen.

Verdächtiger ist den Behörden bekannt

©Das Fahndungsfoto.
Gegen den Tatverdächtigen des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Berlin wurde bereits wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Das Landeskriminalamt NRW habe ein entsprechendes Verfahren gegen Anis A. initiiert, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Mittwoch in Düsseldorf. Die Ermittlungen dazu seien in Berlin geführt worden. Dort habe der Verdächtige seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt gehabt und sei nach heutigem Kenntnisstand zuletzt nur kurz in Nordrhein-Westfalen gewesen. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre Erkenntnisse über ihn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht, zuletzt im November 2016.

Der Mann habe mit zahlreichen Identitäten gearbeitet. Bereits zuvor hatten die “Süddeutscher Zeitung”, NDR und WDR berichtet, der Verdächtige sei als Gefährder eingestuft. Er habe Kontakte zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Salafisten-Predigers Abu Walaa unterhalten. Dieser gilt als die “Nummer 1” des IS in Deutschland. Seit Dezember 2016 sei der Gesuchte abgetaucht.

Verdächtiger sollte abgeschoben werden

Im Fußraum des Lkw-Führerhauses, der am Montagabend in einen Berliner Weihnachtsmarkt gerast war, sei eine Duldung mit den Personalien gefunden worden. Auch DNA-Spuren wurden gesichert. Das gefundene Ausweisdokument war auf den Namen Anis A. ausgestellt, der Gesuchte wurde 1992 in der Stadt Tataouine geboren. Der Verdächtige soll auch unter zwei Aliasnamen bekannt sein.

Der Tunesier sollte eigentlich bereits als abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland abgeschoben werden. Jäger zufolge kam der Gesuchte im Juli 2015 nach Deutschland und hielt sich dann in Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und schließlich ab Februar 2016 wieder hauptsächlich in Berlin auf. Im Sommer 2016 wurde der Asylantrag des Tunesiers abgelehnt. Er habe aber nicht abgeschoben werden können, “weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte” und Tunesien zunächst bestritten habe, dass er Bürger des Landes sei.

Ist das IS-Bekenntnis echt?

Zwar reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Angriff auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche für sich. Allerdings steht bisher nicht fest, ob wirklich eine so weit verzweigte Organisation hinter dem Anschlag steht oder der Täter auf eigene Faust handelte. Der IS hatte über sein Sprachrohr Amak verbreitet, der Angriff sei eine Reaktion auf Aufrufe gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen.

Trotz der Bekenner-Botschaft des IS ist nach Einschätzung von Experten weiter unklar, ob die islamistische Terrormiliz tatsächlich hinter dem Anschlag von Berlin steckt. “Dafür gibt es Anhaltspunkte, aber sicher ist das nicht”, sagte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz am Mittwoch nach einer Sitzung des Bundestags-Innenausschusses, bei dem Spitzenvertreter der Sicherheitsbehörden die Fragen der Parlamentarier beantwortet hatten.

Von Notz sagte, das IS-Bekenntnis werde zwar als authentisch bewertet, aber es gebe Zweifel, weil darin kein Täterwissen enthalten sei. Das IS-Sprachrohr Amak hatte im Internet verkündet, ein IS-Kämpfer sei für den Angriff auf einen Berliner Weihnachtsmarkt verantwortlich.

Kampf zwischen Attentäter und LKW-Fahrer

Sollte sich bestätigen, dass der IS hinter der Tat steht, wäre es der erste islamistische Anschlag mit einer Vielzahl von Todesopfern in Deutschland. Dabei verhinderte der polnische Lkw-Fahrer, der beim Attentat auf dem Beifahrersitz saß, möglicherweise sogar noch Schlimmeres. Die Obduktion habe ergeben, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch lebte, berichtete Bild.de. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Auch von Messerstichen ist die Rede. Erschossen worden sei der Mann erst, als der Lkw zum Stehen kam.

Hackerangriff auf BKA

Auf das BKA-Hinweisportal zum Anschlag in Berlin hat es einen Hackerangriff gegeben. Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte am Mittwoch einen Bericht der Funke-Zeitungen. Am Dienstag sei die Seite www.bka-hinweisportal.de zwischen 17 und 19.30 Uhr deshalb nicht erreichbar gewesen. Es handelte sich den Angaben zufolge um eine sogenannte DDOS-Attacke, bei der die Rechner so lange mit Anfragen bombardiert werden, bis die Software nicht mehr mitkommt. Es seien sofort Gegenmaßnahmen eingeleitet worden, dann habe die Seite wieder funktioniert, sagte eine BKA-Sprecherin. Auf dem Portal – auch “Boston Cloud” genannt – können Zeugen Fotos oder Videos mit Hinweisen zu dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hochladen.

Brüssel will Fahndungsdatenbank ausbauen

Im Kampf gegen Terrorismus und schwere Verbrechen will die EU-Kommission die Fahndungsdatenbank Schengener Informationssystem ausbauen. “In Zukunft sollten nie wieder maßgebliche Informationen über mutmaßliche Terroristen oder irreguläre Migranten, die unsere Außengrenzen überschreiten, verloren gehen”, kündigte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos am Mittwoch in Brüssel an.

Derzeit werden in der Datenbank Personen oder Gegenstände gespeichert, die etwa zur Festnahme, Auslieferung oder Sicherstellung ausgeschrieben sind. Es wird sowohl zur Fahndung nach Verdächtigen und Vermissten als auch zur Suche nach gestohlenen Autos oder Waffen genutzt. Das System soll Kontrollen an den europäischen Außengrenzen erleichtern.

Breitscheidplatz abgeriegelt

Die Hintergründe des Angriffs und der genaue Tatablauf beschäftigen die Sicherheitsbehörden am Mittwoch weiter. Der Innenausschuss des Deutschen Bundestags will gegen Mittag in einer Sondersitzung über den Anschlag beraten.

Die meisten Weihnachtsmärkte in der Hauptstadt sollen unterdessen wieder öffnen. Der Breitscheidplatz, wo am Montag ein Lastwagen in den Weihnachtsmarkt gerast war, bleibt jedoch weiter abgeriegelt.

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Waffe fehlt weiter

Nach dem Attentat fand man den Polen tot im Führerhaus. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen. Von ihr fehlt bisher jede Spur. Der Mann arbeitete für die Speditionsfirma, der der Sattelschlepper gehört.

Ein zunächst festgenommener Verdächtiger wurde wieder freigelassen, nachdem sich gegen ihn kein dringender Tatverdacht ergeben hatte. Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt sagte am Dienstag, es sei möglich, dass der gefährliche Täter noch im Raum Berlin unterwegs sei. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) versicherte im ZDF, die Ermittler tappten nicht im Dunklen. Es gebe Ermittlungsansätze, die würden verfolgt. “Und niemand wird ruhen, bis nicht der Täter oder die Täter gefasst sind”, sagte er in der ARD.

Weihnachtsmärkte bleiben offen

Auch außerhalb Berlins sollen die Weihnachtsmärkte in Deutschland trotz des Anschlags weiter stattfinden. Mehrere deutsche Bundesländer überdenken allerdings ihre Sicherheitskonzepte. De Maiziere blickte in der “Bild”-Zeitung nach vorn: “Wenn ich sage, dass wir uns unser freiheitliches Leben nicht zerstören lassen dürfen, gilt das auch für das Silvesterfest.”

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin vom Montagabend plant nun auch die Polizei in Wien zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. Ab Mittwoch sollen an exponierten Stellen wie beim Christkindlmarkt am Stephansplatz Beton-Sperren aufgestellt werden, berichtete am Abend die “ZIB 2” des ORF. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) rief die Bevölkerung einmal mehr zu erhöhter Wachsamkeit auf.

(APA/dpa)

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