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Diffuse Inszenierung: George Orwells 1984 im Wiener Volkstheater

Das Volkstheater in Wien.
Das Volkstheater in Wien. ©APA/Roland Schlager
Obwohl die Thematik aktueller den je ist, kann Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung von George Orwells Romanklassiker 1984 im Wiener Volkstheater nur stückweise überzeugen.

Gut 70 Jahre hat George Orwells Romanklassiker “1984” auf dem Buckel, doch erscheint der darin beschriebene Überwachungsstaat aktuell wie nie zuvor. So müsste es doch in Zeiten von Google, Smartphones und US-Präsident Donald Trump ein Leichtes sein, diese Geschichte zum Leben zu erwecken. Und doch: Im Wiener Volkstheater scheiterte man daran am Freitagabend. Von Beklemmung konnte keine Rede sein.

Dabei hatte sich Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer mit seinem Team durchaus auf eine Verankerung im Jetzt eingelassen. Das kleine Rädchen im System des “Großen Bruder”, Winston Smith (Rainer Galke), fungiert uns als Verbindungsglied in eine gar nicht so unbekannte Welt (die konsequenterweise mit “Once upon a time in the west” eingeführt wird). Mit ihm lernen wir Lektionen über Doppeldenk, Neusprech, alternative Fakten und die totale Ehrlichkeit.

Bereits hier gelingt eine Verwischung von orwellianischer Fiktion und orwellianischer Realität: Eine höchst amüsante und temporeich gespielte Szene über die Begrenzung des Wortschatzes (wer braucht schon Synonyme für gut, wenn es doppelgut gibt?) trifft somit auf die Amtseinführung von Trump, habe diese doch die größten Menschenmenge jemals angezogen. Ohnehin: Der US-Präsident begegnet dem Publikum in der rund zweieinhalbstündigen Inszenierung sicherlich öfter als der “Große Bruder” selbst, der in Orwells Werk existiert oder auch nicht, aber jedenfalls Parteianhänger wie Bevölkerung in die oft selbst gewählte Abhängigkeit und Unterwerfung drängt.

1984: Diffuse Inszenierung im Volkstheater

Optisch wird das im Volkstheater mit allerlei technischen Spielereien gelöst: Sieben Bildschirme und eine große Leinwand dominieren zunächst die Bühne, die sieben Darsteller sind teils mit Handkameras ausgestattet und spiegeln sich so selbst dutzendfach wieder. Wiederholung ist ein gern eingesetztes Mittel, um die in alle Bereiche des Lebens vordringende Gehirnwäsche und Manipulation darzustellen. Immer wieder werden die Gruppenszenen gebrochen von intimeren Sequenzen, wenn der zunehmend kritische Smith auf Julia (Katharina Klar) trifft, die seine Abneigung offenbar ebenfalls teilt.

Leider ist ihre Auflehnung höchst diffus ausgefallen. Gegen was, gegen wen passiert sie? Gegen Trump oder doch gegen den “Großen Bruder”? Oder sind es gar Google, Facebook und Co, denen der ziemlich aussichtslose Kampf angesagt wird? Es wird zwar deutlich, wie Schmidt-Rahmer mit seiner episodenhaften und grellbunten Umsetzung von “1984” eine zeitgenössische Zuspitzung erreichen will, doch driftet er dabei zusehends ins Klamaukhafte ab. Den eigenen “Großen Bruder” haben wir längst alle in der Hosentasche, wie man schon vor Premierenbeginn erinnert wird. Ja, aber das macht noch keine relevante Kritik an dieser Tatsache.

Je näher am Original, desto besser

Es bleibt der Eindruck, dass der Abend immer dann funktioniert, je näher sich das durchaus bemühte Ensemble am Original orientieren darf. Als Smith und seine Gefährtin schlussendlich aufgegriffen und im “Ministerium für Liebe” umerzogen werden, biegt man ab in eine zwingend gesetzte Schlussphase. Hier dürfen die Darsteller endlich aus den Kim Jong-un-Kostümen des ersten Teils schlüpfen, um sich ganz in weiß gewandet der Bearbeitung von Smith hinzugeben.

Leider mangelt es diesem “1984” an solchen Momenten. Teils hätte eine Straffung vielleicht gut getan, teils sollte man sich auf die Wirkung der historischen Vorlage im Angesicht der Jetztzeit verlassen. Da mag sich die durchaus effektvolle Bühne (Thilo Reuther) so oft drehen, wie sie will – sie fördert dennoch nichts Erhellendes zutage. Am Ende gab es freundlichen Applaus, allen voran für die Darsteller. Und nach der Premiere? Durfte man sich endlich wieder dem Twitterfeed hingeben.

(APA, Red.)

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