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Die sozialdemokratische Dreifaltigkeit

Quo vadis, Wiener SPÖ?
Quo vadis, Wiener SPÖ? ©APA/Sujet
Eines Morgens wachte die SPÖ auf und entdeckte, dass sie aus zwei verschiedenen Parteien besteht. Und dass diese beiden Subparteien ständig schrumpfen. Und dass beide außerdem durch das rapide Wachstum einer neuen, dritten innerparteilichen Partei marginalisiert werden. So etwa müsste wohl einst im Rückblick die Geschichte der Endphase der – derzeit parlamentarisch noch größten – Partei des Landes eingeleitet werden.

Jede dieser parteiinternen Subparteien hat inhaltlich durchaus viel gemeinsam mit einer anderen Partei – allerdings mit einer jeweils anderen und jeweils außerhalb der SPÖ stehenden Partei. Das macht die innere Spaltung der SPÖ noch zusätzlich explosiv.

Dieser Entdeckungsprozess, dass die Partei eigentlich aus mehreren Parteien besteht, findet derzeit vor aller Öffentlichkeit in der Wiener SPÖ statt. Dort hat die Abenddämmerung der Epoche des Michael Häupl völlige Ratlosigkeit ausbrechen lassen. Denn dort kann auch das jahrzehntelang erfolgreich gewesene autoritäre Poltern des Chefs nicht mehr die allgemeine Sorge zum Schweigen bringen, dass auf dessen Abenddämmerung eine lange finstere Nacht folgen wird.

Nichts geht mehr. So beginnen immer mehr Wiener Genossen zu entdecken. Das hat sich im Grund schon nach den Wahlen vor einem Jahr abgezeichnet: Da haben die (wiederbestellten) Stadträte nicht einmal mehr alle Stimmen der eigenen Fraktion erhalten.

Im Grund spielt sich der gleiche Prozess auch in den – oder genauer: zwischen den Bundesländern ab. So könnte eigentlich kein unbefangener Beobachter noch zum Schluss kommen, dass die Vorarlberger und die burgenländischen Sozialdemokraten zur gleichen Partei gehören.

Diese sozialdemokratische Zerreißprobe ist auch nicht bloß auf Österreich beschränkt. Ganz ähnliche Konflikte gab und gibt es beispielsweise in Großbritannien (wo die sehr linken Parteimitglieder ständig in offener Kontroverse zur Mehrheit der Abgeordneten und Labour-Wähler stehen), in Griechenland, Deutschland und Spanien (wo sich überall die Sozialdemokratie bereits gespalten hat), sowie in Frankreich (wo sich die ideologische Spaltung jetzt in total polarisierenden Präsidentschaftskandidaten zeigt).

Die Eckpunkte der drei Parteien in der SPÖ

  1. Die traditionelle Arbeiterpartei: eher strukturkonservativ; in ihrem inneren Selbstverständnis von proletarisch zu kleinbürgerlich mutiert; sehr skeptisch gegenüber der Masseneinwanderung; eher skeptisch gegenüber der in den letzten Jahren innerparteilich dominant gewordenen Schwulen- und Gender-Bewegung; mit gewisser Toleranz für die Notwendigkeiten der Wirtschaft; mit einer starken Verankerung im riesigen Wiener Beamtenheer.
    Ihr soziologisches Hauptproblem: Die klassische Arbeiterschaft schrumpft strukturell; viele Industriearbeitsplätze sind (nicht zuletzt auf Grund des „Erfolges“ der Gewerkschaft bei Lohnverhandlungen) ins Ausland abgewandert; die neuen Jobs sind hingegen im ideologisch und parteipolitisch diffusen Angestelltenmilieu entstanden, im Bereich der neuen Selbständigen und Ein-Mann-Unternehmungen.
  2. Die Partei der 68er: sehr links und sehr elitär-arrogant. Sie unterwandert seit den 70er und 80er Jahren die Arbeiter-Sozialdemokratie auf ihrem „Marsch durch die Institutionen“. Der außerparlamentarischen und anfangs oft gewalttätigen Opposition war nämlich langsam klar geworden, dass man nur auf dem Weg über eine erfolgreiche Partei persönlich in Machtpositionen kommen kann. Inhaltlich sind sie sowohl von Migration wie auch Schulden wie auch Political Correctness wie auch Steuererhöhungen wie auch ständig neuen Regulierungen wie auch allen schwulen und Gender-Parolen begeistert. Die 68er Eliten sind heute nicht nur unter den SPÖ-Funktionären, sondern auch in der Medien- und Kulturblase ungemein erfolgreich.
    Ihr soziologisches Problem: Die 68er gleiten jetzt rasch ins Pensionsalter; und die Kultur- wie die Medienblase werden von allen Außenstehenden mit stark gewachsenem Misstrauen gesehen.
  3. Die Partei der vor allem türkischen Migranten: Diese haben sich (vorerst) für die SPÖ entschieden, weil diese unter den Parteien der Macht die weitaus islam- und immigrationsfreundlichste Haltung hat. In fast allen gesellschaftspolitischen Fragen jenseits von Religion und Fundamentalismus sind die Wähler aus dieser Gruppe – weniger die in der Partei aktiven Funktionäre – aber sehr wertkonservativ (Rolle der Frau, Homosexualität…).

Es ist zunehmend unwahrscheinlich, dass diese drei Parteien dauerhaft zusammen bleiben. Das zeigen auch die ausländischen Exempel. Selbst ein starker Parteiführer wie etwa Bruno Kreisky könnte das inzwischen nicht mehr kitten. Zu zentrifugal sind die Kräfte, welche die Sozialdemokratie auseinandertreiben.

Entscheidend für das künftige Kräfteverhältnis wird sein, welche der drei Subparteien die Gruppe der Pensionisten übernehmen wird können. Diese sind das einzige sonst verbliebene quantitative – nicht ideologische – Schwergewicht in der SPÖ. Wahrscheinlich dürfte das der Arbeiter-Subpartei gelingen.

Die Richtungen des Auseinanderdriftens:

  1. Die Wähler aus der Arbeiterschaft (nicht die Funktionäre) sind schon heute in vielen Ländern mehrheitlich bei anderen Gruppierungen gelandet. Zuerst geschah das noch etwas zaghaft Richtung Tories und CDU/CSU. Heute ist geradezu eine Massenflucht Richtung jener Gruppierungen in Gang, welche von den offiziellen Sozialdemokraten gerne als „rechtspopulistisch“ diskreditiert und außerhalb des demokratischen Bogens hingestellt werden. Hauptgrund dieser Flucht ist ganz eindeutig die Aversion vieler (ehemaligen) SPÖ-Wähler gegen die Völkerwanderung, die Angst vieler Menschen vor deren Konsequenzen. Sie haben aber auch schon davor den von der 68ern herbeigeführten gesellschaftspolitischen Linksruck nur noch mit sehr gemischten Gefühlen gesehen.
  2. Die 68er Gruppierung ist heute inhaltlich praktisch deckungsgleich mit den Grünen. Das zeigt sich jetzt besonders deutlich im Präsidentschaftswahlkampf, wo große Teile des SPÖ-Apparats völlig undifferenziert und mit der gleichen Begeisterung für den grünen Kandidaten werben, als wäre dies der eigene. Dieser Prozess wird Nachwirkungen haben: Niemand erkennt mehr, ob sich die beiden Parteien eigentlich noch unterscheiden. Außer dass die eine Partei fast immer in der Regierung sitzt (wo man halt viel bessere Karrierepositionen erreicht) und die andere eine dauernde Oppositionspartei ist (wo man der Begegnung der eigenen linken Utopien mit der Realität bequem entkommt). Inhaltlich hat die SPÖ jedoch heute alle industriefeindlichen Ökothemen der Grünen übernommen; und die Grünen haben ihre Affinität zu Rechtsbrüchen weitgehend aufgegeben und sind eher selbst eine ständig Strafanzeigen stellenden Gouvernantentruppe geworden. Sobald die SPÖ einmal in der Opposition ist, werden diese beiden Gruppen daher zumindest auf Wählerebene endgültig zusammenfinden.
  3. Die Türken werden mit Sicherheit eines Tages, sobald sie stark genug dazu sind, eine eigene islamische Partei gründen. Wählt doch die große Mehrheit jener, die die türkisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaft haben (das sollen laut Schätzungen von Innenminister Sobotka in einem Gespräch nicht weniger als 40.000 Menschen sein), in Österreich SPÖ und bei türkischen Wahlen die AKP. Diese ist eine total nationalistische, islamistische und sehr autoritäre Gruppierung, die absolut nichts mehr mit irgendeinem Element der Sozialdemokratie zu tun hat.

Das ist für die SPÖ wirklich eine dramatische Situation. Diese wird auch noch durch die Tatsache verschärft, dass sich Christian Kern, der Bundesparteichef, inzwischen total als Exponent der 68er Subpartei entpuppt hat, nachdem er einige Monate durch rhetorisches Wortgeklingel jede inhaltliche Festlegung vermieden hat. Werner Faymann war hingegen ein Exponent der Arbeiter-Subpartei.

Umso spannender ist jetzt in Wien der Aufstand der sogenannten Flächenbezirke innerhalb der SPÖ, wo diese noch regiert. Sie wollen einerseits verhindern, dass der Nachfolger von Häupl aus der 68er Subpartei kommt. Und sie wollen andererseits auch inhaltlich den Kurs der SPÖ wieder zurechtrücken. Man darf sehr gespannt sein, ob ihnen das gelingt. Innparteilich war dieser Flügel ja jahrelang auf dem Rückzug.

Derzeit herrscht durch diesen Machtkampf eine totale Lähmung der Partei sowohl auf Landes- wie auch Bundesebene. Man nehme nur die Festlegung einer Flüchtlings-Obergrenze auf 37.500 oder ein effizienteres Asylgesetz: Überall hat es schon vor Monaten in der Regierungskoalition eigentlich eine klare politische Einigung gegeben. Aber überall legen sich seither insbesondere im SPÖ-Klub die 68er quer, sodass es keinerlei rechtliche Fixierung gibt. Ebenso war die SPÖ bei der Mindestsicherung zu keiner echten Kürzung der Zahlungen an Flüchtlinge bereit. Folge: Jetzt treten in jedem Bundesland andere Mindestsicherungs-Sätze in Kraft, wobei es vor allem Wien total zerreißt, weil die meisten anderen Länder die Zahlungen kürzen.

Da sagen die Flächenbezirke mit eigentlich zwingender Logik: „Das halten wir, das halten unsere Wähler nicht mehr aus. Wir brauchen einen echten inhaltlichen Politikwechsel.“ Aber Logik muss sich in einer Partei nicht automatisch durchsetzen. Vor allem, wenn diese in Wahrheit aus drei Parteien besteht.

Der Autor war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.

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