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Die Furrys sind unter uns! Eine sympathische Bewegung erobert Wien

Eddie der Dachs und einer seiner fröhlichen Furry-Freunde in voller Montur bei einem Walk
Eddie der Dachs und einer seiner fröhlichen Furry-Freunde in voller Montur bei einem Walk ©Karakina Fox
Haben Sie sich schon einmal an einem ganz normalen Tag als überlebensgroßes Plüschtier verkleidet und sind so auf die Straße marschiert? Nein? Dann sind Sie offenbar (noch) kein Furry.
Das sind die Furrys!

Für Gerald S. und Anita V. ist diese Vorstellung ganz normal – und die Umsetzung zwar aufwändig, aber nicht außergewöhnlich. Denn die beiden sind Furrys – und damit Teil einer internationalen Spaß-Bewegung, die auch in Wien bereits eine kleine Anhängerschar gefunden hat. 30 bis 50 Furrys gibt es bislang in und um Wien. Ganz normale Menschen mit ganz normalen Jobs, die in ihrer Freizeit gerne ab und zu einmal in Fur Suits (“Fell-Anzüge”) steigen und sich auf belebten Straßen unteres Volk mischen.

Für viele Medien sind die Furrys ein gefundenes Fressen. Zu groß ist die Verlockung, sich über die vermeintlichen Freaks und ihren Lebensstil lustig zu machen. Doch wir wollten wissen, was sich wirklich hinter den Menschen im Tierkostüm verbirgt. Gerald und Anita haben für Vienna Online ein paar der Furry-Geheimnisse gelüftet und uns als Insider erzählt, worin die Faszination liegt, als überdimensionaler Dachs oder Hund über die Mariahilfer Straße oder durch die Innenstadt zu spazieren.

Was ist denn bitte ein Furry?

Wer sind denn nun die Furrys wirklich – und woher kommt der Trend zum Tier-Komplett-Outfit? Anita meint: “Furrys sind einfach Liebhaber von ‘anthropomorphen’, also vermenschlichten, Tierwesen. Wir lieben bestimmte Charaktere und wollen diese verkörpern.” Die Furry-Bewegung hat ihre Wurzeln einerseits in US-Sportarten wie American Football, wo “Maskottchen” gang und gäbe sind, andererseits auch in verschiedenen Subkulturen in Amerika – besonders bei amerikanischen Independent-Comics. So ist auch Gerald auf die Bewegung gestoßen: durch einen Online-Cartoon namens Sabrina Online, in dem ein Stinktier den Alltag eines Menschen bestreitet und als Webdesigner arbeitet.

Gerald ist auch selbst ein begeisterter Zeichner – wie übrigens viele Furrys eine künstlerische Ader haben. Vor drei Jahren entdeckte Gerald die Furrys und begann bald darauf, sein eigenes erstes Kostüm zu bauen: einen überdimensionalen Hund namens Yamavu. Inzwischen hat er auch ein zweites Kostüm: einen Dachs namens Eddie McBadger – oder Little Eddie, wenn seine Freundin Anita im Suit auf die Straße geht. Denn sie ist etwas kleiner, wodurch auch der Dachs gewissermaßen wie ein Jungtier wirkt.

Was ist es eigentlich für ein Gefühl, in den Suit zu steigen und loszuziehen? “Erstmal ist es sehr heiß”, lacht Anita. “Das Anziehen dauert lang – man trägt unter dem Suit übrigens lange Unterwäsche aus atmungsaktivem, kühlendem Material. Wenn ich dann endlich fertig angezogen bin, werd ich total hyper – ich freu mich einfach irrsinnig darauf, rauszugehen und zu spielen.” Denn für die Furrys ist jeder Walk ein Schauspiel. Und aufgenommen wird man zumeist positiv – die Leute finden das lustig, wollen die Furrys fotografieren und knuddeln.” Und wenn mal einer ablehnend reagiert? Gerald meint lachend: “Witzig wird es bei Pärchen, wo sie sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegt und er mit grantigem Gesicht daneben steht. Dann konzentrieren wir unser Spiel vermehrt auf den unwilligen Mann, versuchen mit ihm zu interagieren – und für die Zuschauer ist es eine Riesenhetz.”

Ein Fur Suit für zwei

Kennengelernt haben sich die beiden übrigens auf einer Convention in Tschechien – natürlich zum Thema Furrys. Den Dachs-Suit teilen sie sich seither, doch Gerald bastelt auch an einem eigenen Kostüm für Anita. Dass er ihr dieses ursprünglich schon als Geschenk für Weihnachten 2010 versprochen hat, liegt daran, dass der Bau eines Furry-Suits ein echtes Großprojekt ist. Zwei Wochen reine Arbeitszeit soll er dauern, so Gerald. “Aber nur, wenn man nicht arbeitet, isst oder schläft.” Welches Tier Anitas Furry-Charakter  werden wird, steht für die begeisterte Katzenliebhaberin allerdings schon lange fest.

Wer einen Suit haben will, sollte auch einiges an handwerklichem Geschick mitbringen. Denn die Kostüme baut man sich hierzulande meist selbst. Für das in Massen benötigte Kunstfell ist ein großes Stoffgeschäft auf der Mariahilfer Straße die erste Adresse – aber natürlich auch das Internet eine wichtige Quelle. Bei Schnurrhaaren oder Knopfaugen werden Furrys vielfach in Bastelgeschäften fündig. Die Köpfe bastelt man aus Schaumstoff, der zurechtgeschnitten wird. Echter Pelz kommt für die Furrys nicht in Frage – “aus ethischen Gründen, weil Pelz grausam ist, aber auch aus Kostengründen, weil ein Suit so schon an die 400 bis 500 Euro kostet.”

Ein teurer Spaß also. Doch die Reaktionen der Menschen auf der Straße machen die Investition für die beiden mehr als wett. Gerald erzählt von leuchtenden Kinderaugen und auch so mancher grantigen alten Dame, der er als Furry schon ein überraschtes Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat. Selbst Menschen im Rollstuhl haben die Furrys mit ihren Faxen schon verzaubert. Für Gerald und Anita ist es jedes Mal etwas Besonderes, als Furrys auf einen “Walk” zu gehen – auch, weil der Aufwand dabei nicht zu unterschätzen ist.

Auch Furrys brauchen Regeln

Denn jedes Ausschwärmen eines Furrys will gut geplant sein – und es gibt ungeschriebene Regeln, die einerseits der eigenen Sicherheit dienen, andererseits dazu beitragen, dass der Zauber für das Publikum ungebrochen bleibt. So geht beispielsweise kein Furry alleine auf die Straße. Ein unverkleideter “Spotter” ist als eine Art Beschützer immer mit dabei und übernimmt für den Furry das Sprechen. Denn laut Gerald ist die Goldene Furry-Regel Nummer 1 für das Verhalten in der Öffentlichkeit: Furrys sprechen nicht. Sie haben andere Wege, um sich auszudrücken – mit lustigen Gesten und übertriebenen Bewegungen, die zuhause vor dem Spiegel einstudiert und geübt werden.

Regel Nummer 2 lautet: Furrys nehmen in der Öffentlichkeit niemals den Kopf ab. Sollte das aus gesundheitlichen Gründen unerlässlich sein, oder der Furry nach Stunden im Suit das Bedürfnis haben, sich der felligen Pracht zu entledigen, ist es Aufgabe des Spotters, den Furry an einen sicheren Ort zu führen. Die Route wird vorher festgelegt und ebenso die Orte, an die man notfalls flüchten kann. Wobei flüchten relativ ist – denn bewegen kann man sich im Suit nur sehr langsam.

Auch das Publikum hält der menschliche Aufpasser in Schach, wenn zum Beispiel jemand nicht einsehen will, dass auch Furrys einmal eine Pause brauchen oder der Spaß irgendwann zuende ist. Thema war dies zuletzt im Disneyland Paris, wo Furrys zu Halloween ausnahmsweise Einlass erhielten und Anita und Gerald als Spotter befreundete Furrys unterstützten. Denn nachdem Disney ja praktisch dort seine eigenen Furrys in Form von Mickey, Goofy, Tigger und Co. beschäftigt, sind Fremd-Furrys dort normalerweise nicht gern gesehen. Anita und Gerald hatten am Ende des sechsstündigen Einsatzes ihre liebe Not, eine stark alkoholisierte Besucherin abzuwehren, die unbedingt noch mit einem Furry für ein Foto posieren wollte und sehr aggressiv wurde, als man ihr dies aus Erschöpfung verwehrte.

Furrys: Die etwas anderen Perchten?

Alkohol und Furrys vertragen sich generell nicht gut. Wer suitet, trinkt nicht – zumindest keinen Alkohol. Wasser oder isotoische Getränke dagegen sind ein absolutes Muss. Zu trinken gibt dem Furry natürlich der Spotter, durch eine kleine Öffnung im Maul passen Strohhalme oder auch einmal ein Müsliriegel.”Viele machen den Fehler, nicht genug zu trinken – weil sie dann aufs Klo müssen, was in dem Aufzug echt mühsam ist. Aber man muss trinken, um im Suit nicht schlapp zu machen”, meint Anita. Auch ein kleines Notfall-Package mit Sicherheitsnadeln, Nähgarn und Co. sollte der Spotter immer dabei haben, falls einmal eine Naht reißt.

Der Furry ist in vielerlei Hinsicht auf seinen Spotter angewiesen, da er in seiner Bewegung und seinem Gesichtsfeld eingeschränkt ist – auch wenn es um unangenehme Passanten geht. Von Gruppen alkoholisierter Jugendlicher geht oft eine Gefahr für Furrys aus, da sie sich einen Spaß daraus machen können, das Fell der Furrys mit Bier zu begießen oder mit ihren Zigaretten zu nah ans Fell kommen. Feuer ist für Furrys natürlich weitaus gefährlicher als für Normalsterbliche. Gerald zieht in diesem Zusammenhang einen skurril anmutenden Vergleich zwischen Furrys und den hierzulande verbreiteten Perchten: “Die haben Holzmasken, Ziegenfelle und Feuer – wir tragen Schaumstoffköpfe, Kunstfell und Knicklichter. Aber unsere Wurzeln sind irgendwo die gleichen: Wir wollen unterhalten!”, so Gerald. “Viele verstehen das im ersten Moment nicht. Wer uns auf der Straße sieht, denkt oft zuerst an eine Werbeaktion und schaut, ob wir vielleicht Flyer haben oder sowas. Andere wollen uns Geld geben. Aber darum geht es beim Furry-Sein nicht.”

Furrys kommen aus allen Branchen

Könnten sie sich denn vorstellen, auch für Geld als Furrys aufzutreten? “Eher nicht,” mein Gerald. “Da müsste mir der Zweck oder das Produkt schon sehr am Herzen liegen.” Und Anita ergänzt: “Für die Freiwillige Feuerwehr würd ich das sofort machen! Aber sonst …” Denn Anita ist neben ihrem eigentlichen Job als Angestellte in einem Bekleidungsgeschäft sehr engagiert für die Freiwillige Feuerwehr in ihrem kleinen deutschen Heimatort.

Die Frage nach dem Berufsleben von Furrys stellt sich natürlich auch. Gerald, der an der TU studiert, sagt: “Vom Arbeitslosen bis hin zum Manager oder gar Diplomaten hab ich da schon alles erlebt. Auch einen Psychologen hab ich schon getroffen, der begeisterter Furry ist.” Altersmäßig sind die Furrys, die sie kennen, durchschnittlich zwischen 20 und 30 Jahre alt, einige Ausreißer auch 40. Sogar Senioren haben Gerald und Anita in Sachen Furry-Fans schon getroffen – “aber eher in Amerika als hier.” Furrys gibt es generell in der ganzen westlichen Welt. Im Osten ist eher “Cosplay” verbreitet, da verkleidet man sich lieber als Manga- oder Anime-Figur.

Wo treffen Furrys Gleichgesinnte?

Und wie trifft man als Furry andere Furrys? Gerald und Anita erzählen von amerikanischen “Fur Cons”, aber auch vom jährlichen Pflichttermin in Europa: der Eurofurence. Diese Convention im deutschen Magdeburg ist das größte europäische Event. Dort kommen an die 1.000 bis 1.500 Furrys zusammen, um sich über Suit-Bau und Co. auszutauschen. Auch über Themen, die mit dem Furry-Sein nichts zu tun haben, erfährt man einiges bei den dortigen Workshops und Vorträgen. Außerdem werden Zeichnungen von Furry-Charakteren für Charity-Zwecke versteigert, die immer etwas mit Tieren zu tun haben.

In Wien gibt es einen monatlichen Furry-Stammtisch, zu dem Leute auch aus Wien-Umgebung anreisen. Fünf bis dreißig Personen kommen dabei zusammen. Nicht alle davon wollen sich als Furrys outen. “Chefs und Arbeitgeber brauchen nicht alles wissen,” meint Anita. Viele Furrys legen für ihren Charakter ein eigenes Facebook-Profil an, das unabhängig vom menschlichen Account geführt wird – auch Gerald für seinen Eddie McBadger. Denn natürlich sind Furrys auch im Internet bestens organisiert: Es gibt ein eigenes FurSuit Wiki und viele Foren, in denen man sich austauscht, wie etwa das deutsche GermanFurs, in das man allerdings von einem Furry eingeladen werden muss.

Sind Furrys Fetischisten?

Das Um und Auf sind aber natürlich die Conventions. Die Eurofurence dauert fünf Tage und ist erst ab 18 zugänglich. Gibt es denn dort etwas Unmoralisches zu sehen? “Aber nein!”, sagt Gerald. “Es gibt angeblich Leute, die aus sexuellen Gründen Furrys sind, für die das ein Fetisch ist. Aber für uns ist das kein Thema. Und wir kennen auch niemanden, der das deswegen macht.”

Warum macht man es denn nun – mal abgesehen von der Begeisterung des Publikums? “Man ist nicht nur Fan von etwas, sondern Fan voneinander,” meint Gerald. “Man trifft als Furry Gleichgesinnte, andere Künstler – sozusagen Berühmtheiten zum Angreifen. Und viele erhalten durch das Interesse am Kostüm auch wertvolle Kontakte und Aufmerksamkeit für ihre Kunst.”

Allen, die sich jetzt fragen, wo man Furrys in Wien auch einmal live erleben kann, sei die Wiener Comicbörse “Vienna Comix” ans Herz gelegt, die das nächste Mal am 4. Dezember stattfindet – denn dort wandert traditionell deren Haus-Furry herum. Ansonsten: Einfach mal auf der Mariahilfer Straße oder in der Wiener Innenstadt die Augen offenhalten. Eddie McBadger im Groß- oder Kleinformat könnte jederzeit um die Ecke biegen. Und der steht garantiert gern für ein Foto bereit.

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