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"Der letzte große Trost": Neuer Familienroman von Stefan Slupetzky

Stefan Slupetzky, bekannt als Krimiautor, hat einen neuen Roman geschrieben
Stefan Slupetzky, bekannt als Krimiautor, hat einen neuen Roman geschrieben ©Rowohlt Verlag / APA/HERBERT PFARRHOFER
Im neuen Roman von Stefan Slupetzky dreht sich alles um den Tod - um den millionenfachen und den einzelnen, den man nicht wahrhaben will. "Der letzte große Trost" ist unser Buch-Tipp der Woche.

Der Tod ist für Daniel Kowalskis in Israel lebende Großtante Ruth “der letzte große Trost, den wir uns von den Nazis seinerzeit nicht spenden lassen wollten”. Kowalski ist der Protagonist von Stefan Slupetzkys Roman “Der letzte große Trost”.

Bekannt für Krimi und Wienerlied: Stefan Slupetzky

Den 1962 geborenen Wiener Slupetzky kennt man vor allem als Krimiautor und Erfinder des Anti-Helden und Ex-Kommissars Lemming und als Sänger und Texter des von ihm mitbegründeten Trio Lepschi, das mit seinen pointierten Auftritten am Revival des Wienerlieds in den vergangenen Jahren nicht ganz unbeteiligt war. Ohne Auseinandersetzung mit dem Tod ist zwar weder Krimi noch Wienerlied vorstellbar, doch mit seinem neuen Roman, an dem er zweieinhalb Jahre lang gearbeitet hat, schlägt Slupetzky einen ganz neuen Ton an. “Er hat seine eigene Familiengeschichte zum Anlass genommen, diesen Roman über das Reisen und die Suche nach Identität und die Bürde der Geschichte zu schreiben”, heißt es in der Verlagswerbung.

“Der letzte große Trost” ist ein düsteres Buch und ein disparat wirkendes Buch. Die Zerrissenheit der Hauptfigur, die sich als Sprössling einer jüdischen Familie mütterlicherseits und einer Nazifamilie väterlicherseits mitten in einer historischen Bruchlinie wiederfindet, spiegelt sich auch im Aufbau des Buches.

Geschichte der Familie Kowalski

“Teil 1 – 1997” beschäftigt sich, ausgehend von einem Brief aus Israel, in dem Ruth ihrem Großneffen 17 Jahre zurückliegende Ereignisse erklärt, ausführlich mit der Geschichte der einst aus Polen zugewanderten Familie Kowalski. Sie führt zu Daniels Großvater Johann Kowalski, in dessen Chemiefabriken Zyklon B hergestellt wurde. “In Israel kennt den Namen jeder, der in den Gaskammern Verwandte oder Freunde verloren hat”, schreibt Ruth, die einst mit ihrem Mann Jakob dem Holocaust über die Schweiz nach Israel entkommen war.

Dass die angeheiratete Familie Kowalski in Jakobs Elternhaus in Klosterneuburg lebte, war kein Problem – bis Jakob und Ruth entdecken mussten, dass Daniels Vater der Sohn dieses Kriegsverbrechers war. Ein plötzlicher, radikaler Hinauswurf war die Folge. “Wir hatten Deinem Vater nichts als seine Herkunft vorzuwerfen”, schreibt Ruth. “Das war alles andere als gerecht, nur war Gerechtigkeit schon lange kein Kriterium mehr für uns.”

Sohn wühlt in Vergangenheit des Vaters

Weil die Großtante nun das seit 17 Jahren leer stehende Haus, in dem Daniel seine Kindheit verbracht hat, verkaufen möchte, gibt sie ihm eine letzte Gelegenheit, im dortigen Keller lagernde Erinnerungsstücke zu sichten. Daniel nimmt das Angebot an, stößt auf ein Tagebuch seines Vaters und erlebt in dem heruntergekommenen Gebäude inmitten von Erinnerungen eine einsame, betrunkene, aufwühlende Nacht. Ein Gedicht (es stammt von Kurt Slupetzky, dem Vater des Autors) lässt ihn auf den abstrusen Gedanken kommen, der an einem Herzinfarkt gestorbene Vater könnte seinen Tod nur inszeniert haben, um ein zweites Leben zu beginnen. Schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil auch Daniel den toten Vater selbst gesehen hat. Doch der Sohn klammert sich an den Gedanken, der ihn nicht mehr loslassen wird und sein Leben radikal verändert: Sein Vater lebt.

“Teil 2 – 2008” zeigt Daniel und seine Frau Marion in Venedig, wo Daniel unmittelbar vor dem angezweifelten Tod des Vaters mit diesem ein letztes, glückliches Wochenende verbracht hatte. Es sollen auch die letzten gemeinsamen Tage mit seiner Frau sein, denn Daniel hat über ein Jahrzehnt auf sein eigenes, heimliches Verschwinden hingearbeitet, das er nun in die Tat umsetzen möchte. Mit neuer Identität möchte er sich auf die Suche nach seinem Vater begeben. Womit eine schon bisher überkonstruiert und nicht ganz glaubhaft wirkende Geschichte endgültig aus dem Ruder läuft.

“Der letzte große Trost”: Dichter Roman

Stefan Slupetzky hat versucht, die Orientierungslosigkeit einer Generation, die sich selbst bisher nicht vor entscheidende Herausforderungen gestellt sah und dafür das Leid der Eltern- und Großelterngeneration zu schultern sucht, auf eine einzige Figur zu konzentrieren. Die Schultern seines Protagonisten erweisen sich jedoch als zu schmal für die wuchtige Mischung aus Identitätssuche, Familiengeschichte und Aufarbeitung einer Vater-Sohn-Beziehung. Aber besser die Latte zu hoch gelegt und achtbar daran gescheitert als gar nicht erst gesprungen – vielleicht mehr als nur ein kleiner Trost für den “letzten großen Trost”.

Stefan Slupetzky: “Der letzte große Trost”, Rowohlt Verlag, 252 S., 20,60 Euro

Weitere aktuelle Buch-Tipps finden Sie in unserem Bücher-Special.

(apa/red)

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