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Der dritte Pädagoge

©Darko Todorovic
Seit Jahren schon hat Skandinavien in der Schulentwicklung die Nase vorn. Eines der Grundprinzipien des Schulalltags ist die Aufenthaltsqualität in Lern- wie Erholungsräumen. Klingt logisch, ist es auch. Neben Lehrer(inne)n und Mitschüler(inne)n gilt der Raum dort als dritter Lehrer, wie es der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi in den 1970er-Jahren formulierte. Neue Bildungsbauten in Vorarlberg stehen diesem Anspruch in nichts nach.
Der dritte Pädagoge

Räume prägen uns. Über das Wohlbefinden in Räumen kann Aufmerksamkeit und Kommunikation gefördert werden. Licht und Luft spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Organisation von Raum, um nur einige Faktoren zu nennen. Räume nützen zu können, setzt Selbstbestimmung voraus und ein Gefühl für Nähe und Distanz. Und obwohl so umfassend und wichtig für das Verständnis von Gesellschaft hat sich der Architekturkritiker Walter Zschokke vor beinahe 20 Jahren gegen Architektur als Schulfach ausgesprochen: „Die direkte räumliche Erfahrung ist unverzichtbar, darum ist das Bemühen Architektur als theoretisches Unterrichtsfach einzuführen, zwar verdienstvoll, aber es trifft nicht den Kern des Problems. Nicht Architektur als Unterrichtsstoff in die Schule zu bringen kann daher das Ziel heißen; vielmehr ist der Unterricht in gebauter Architektur abzuhalten. Jeder Kindergarten, jede Volksschule, jede Hauptschule, jedes Gymnasium, die Berufs- und Fachhochschulen eingeschlossen, sowie alle Hochschul- und Universitätsgebäude sind nach bestem Wissen und Gewissen unserer Zeit mit architektonischem Anspruch zu errichten und, wenn es ansteht, feinfühlig zu erweitern oder zu erneuern. Diese Verantwortung kann keiner Gemeinde, nicht den Ländern und auch nicht dem Bund abgenommen werden.“ Ein Blick auf die Entwicklung der Bauprogramme für den Bildungsbereich in Vorarlberg lässt hoffen. Eine Vielzahl an Kindergärten und Schulen wurde in den letzten Jahrzehnten saniert, erweitert, auf neuesten Stand gebracht, neu errichtet. Im Idealfall sind diese Einrichtungen gebaute Pädagogik, eine Unterstützung für den Lernalltag; Räume, die Zusammenarbeit fördern, Konzentration ermöglichen, mit offenen und geschlossenen Zonen, die das Ausleben individueller Zugänge zum Lernen ermöglichen.

Gesetzlich vorgegebene Regeln für den Bau von Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen werden aktuell wieder flexibler und neue Unterrichtsformen finden architektonisch Unterstützung. Aktuell wird vor allem gern auf sogenannte „Clusterlösungen“ zurückgegriffen. Hier lösen sich Klassenzimmer und Erschließungsgänge auf und bilden offene Grundrisse. So können verschiedene Lehr- und Lernformen nebeneinander und gleichzeitig Platz finden. Individuelle Förderung wird so räumlich vereinfacht. Cluster haben meist eine Mitte, um die herum organisiert wird.

Bei Neubauten wesentlich einfacher zu realisieren, hat sich die Volksschule in Röthis trotz schwieriger und gleichzeitig privilegierter Ausgangslage das ambitionierte Ziel gesetzt, aus dem Bestand neue Lernlandschaften zu entwickeln. Privilegiert ist die Schule ob ihrer Lage, aber auch ob der ästhetischen Qualität ihres aus dem Jahr 1908 stammenden und denkmalgeschützten Gebäudes, das in den 1960er-Jahren erweitert wurde. Mit einer neuerlichen kleinen Erweiterung und umfassenden Sanierung wurde die Schule in Zusammenarbeit mit architektur.terminal hackl und klammer nun abermals neuen Bedingungen des Lernens und Lehrens angepasst. Die drei Bauabschnitte sollten jeweils erkennbar bleiben. Um das Gebäude als Ganzes zu harmonisieren, wurde eine einheitliche Fassaden- und Farbgestaltung gewählt. Ein großzügiger Schulhof führt zum Gebäude, das zur Rückseite von Einfamilienhäusern umgeben ist, nach vorne mächtig auf einem kleinen Hügel thront. Von dort aus korrespondiert es mit der Pfarrkirche, den umliegenden Wohnbauten, dem Kindergarten in unmittelbarer Nachbarschaft – ebenso gestaltet von architektur.terminal – und der Landschaft. Insgesamt erstreckt sich der Schulbau auf zwei Gebäude mit je drei Geschoßen.

Die Erschließung dieser Ebenen, die Verbindung der bestehenden Räume und die Ermöglichung neuer Lernformen in den Bestandsgebäuden war die Hauptaufgabe der Architekten, die hierfür – gemessen an Volumen und Aufwand – ein knappes Budget zur Verfügung hatten. So wurde auch radikal alles belassen, was funktional erhaltenswürdig war. Der alte Bauteil beherbergt heute vier Klassen mit jeweils angrenzenden Gruppenräumen. Diese Besonderheit macht das Lernen im Plenum wie auch in kleinen Gruppen möglich. Weiters stehen die großzügigen Gangzonen zur Verfügung. Gerahmte Glastüren ermöglichen Sichtkontakt und für die Kinder ein freies Zirkulieren in den Lernlandschaften. Im alten Zubau wurde der zentrale Erschließungsteil mit einer Aula-Funktion ausgestattet. Eine kleine Bühne und eine weitläufige Treppenanlage bestimmen den Raum. Im Obergeschoß sind ein Klassenraum und Räume für Textiles Werken und weitere Fächer untergebracht. Im Erdgeschoß hat eine Küche mit Essbereich für die Mittagsbetreuung Platz gefunden. Ihr angegliedert ist ein Ruheraum als kleine Rückzugsoase. Für das Lehrpersonal stehen drei Räume zur Verfügung, die Austausch, Vorbereitung, Besprechungen, Sitzungen und das Erledigen von Verwaltungsaufgaben ermöglichen. Für die Gemeinde Röthis ist das Projekt ein wichtiger Beitrag, um Angebote für junge Familien zu setzen. Aber auch Vereine finden hier – vor allem im sanierten Turnsaal – Aufnahme. Die Gemeinde verzeichnete in der Vergangenheit einen leichten Rückgang an Einwohner(inne)n. Dieser Trend scheint sich nun umzukehren und diese Schule ist gewiss ein Moment in der Dorfstruktur, der einem das Bleiben oder Zuziehen erleichtern kann.

Daten & Fakten

Objekt Volksschule Röthis
Eigentümer/Bauherr Gemeinde Röthis, Bürgermeister Roman Kopf
Architektur architektur.terminal hackl und klammer, Röthis www.architekturterminal.at
Statik ssd Beratende Ingenieure ZT GmbH, Röthis
Fachplaner: Bauphysik: DI Günter Meusburger GmbH, Schwarzenberg; Haustechnik: Klimaplan Technisches Büro, Hohenems; Müllner Energieberatung & Haustechnik, Dornbirn; Elektro: elektrodesign René Fröhle, Schlins; Bauaufsicht: Wolfgang Summer Baubetreuung, Klaus; Bauökologie: Ökoberatung Gebhard Bertsch, Ludesch
Planung ab 2014
Ausführung 7/2015–5/2016
Grundstücksgröße 4900 m²
Nutzfläche 2024 m² (davon 152 m² Neubau)
Bauweise: Massivbauweise (Ziegel, Beton), Fenster saniert, neue Fenster: Holz-Aluminium
Ausführung: Baumeister: Dobler, Röthis; Zimmerer: Summer, Röthis; Heizung, Sanitär: Markus Stolz, Bregenz; Lüftung: Kranz, Weiler; Elektro: Decker, Weiler; Spengler: Ulrich Heinzle, Koblach; Fenster: Heinrich Manahl, Bludenz-Bings; Fenstersanierung: Wilfried Eisele, Feldkirch; Sonnenschutz: Berthold, Rankweil; Verputz: Kratzer, Röthis; Trockenbau: Bohn, Dornbirn; Maler: Bösch, Höchst; Parkett: Gert Anderle, Sulz; Steinböden: Wehinger, Röthis; Innenverglasung: Längle, Götzis;
Innengeländer: m+s Metalltechnik GmbH, Röthis; Schlosser: MB Bauelemente, Rankweil; Tischler: Ludescher, Röthis und Bickel, Dornbirn; Raumausstatter: Thomas Bechtold, Muntlix; Signaletik: Denise Kopf, Röthis
Energiekennwert 28 kWh/m² im Jahr
Baukosten 2,7 Mill. Euro

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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