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Cinema Futures - Kritik und Trailer zum Film

Eine Elegie auf das verschwindende haptische Medium Film in wundervollen Digitalbildern: Dieses Paradoxon gelingt Regisseur Michael Palm mit seinem beinahe hypertrophen Dokumentarprojekt "Cinema Futures". In einer weltumspannenden Reise macht sich der gebürtige Linzer auf die Spuren jener digitalen Revolution, die in den vergangenen Jahren die Filmbranche umgewälzt hat.

Leider wird bereits in den ersten Sekunden von “Cinema Futures” klar, aus welcher Richtung der Wind weht – aus dem fernen Land der Nostalgie mit seinen wohlig warmen Erinnerungen an kindliche Kinoerlebnisse mit flackernden Bildern und alten Super-8-Aufnahmen. So hüllt Palm seine sich letztlich als extrem vielschichtig entpuppende Reise zunächst in den wohligen Mantel eines persönlichen Essays mit einer Kleinkindaufnahme von sich samt Schmetterling und der melancholischen Frage: “Wer erinnert sich in 50 Jahren an die Momente, die wir mit unserem Smartphone aufgenommen haben?”

Cinema Futures: Kurzinhalt des Films

Auch im Verlauf des Filmes bricht dieser Charakter immer wieder durch, hat sich Palm doch wie so mancher heimischer Filmemacher leider entschieden, sich nicht auf professionelle Sprecher zu verlassen, sondern den Off-Kommentar selbst zu übernehmen. Die etwas larmoyante Erzählstimme des Filmemachers trägt so den Schmerz über den Tod des Films als haptisches Medium in sich und konterkariert unnötig den extrem hochwertigen Eindruck, den “Cinema Futures” hinterlässt.

So reist Palm für sein vom Österreichischen Filmmuseum mitinitiiertes Projekt von bronzezeitlichen Gräbern als gefrorene Momente der Zeit über Impressionen alter Autokinos in die Archive und Filmlagerstätten der Welt, wo er mit der Wahnsinnszahl von 32 Gesprächspartnern den Charakter des Films nachzeichnet, geschmückt mit Girlanden aus Filmclips sowie alten Werbe- und Nachrichtenbeiträgen. Von Regielegenden wie Martin Scorsese, Christopher Nolan oder Apichatpong Weerasethakul über brillante Filmdenker wie David Bordwell oder Tom Gunning bis hin zu den klugen Archivaren der neuen Zeit, entblättert Palm den Januskopf des Fortschritts. Schließlich ist die digitale neue Welt hypermodern und doch anfällig im Hinblick auf die Lagerfähigkeit ihrer Daten.

Vor diesem Problem stehen etwa die Mitarbeiter der Library of Congress, der größten amerikanischen Institution zur Bewahrung und Sicherung von Bewegtbildern, die den Verfall von unsachgemäß gelagertem Zelluloid durch das Zerdrücken eines Melies-Originals ebenso drastisch demonstrieren wie sie die permanente Unsicherheit digitaler Archivierung beklagen. Wie sollen Daten potenziell über Jahrhunderte gesichert werden, wenn ein System wie Betamax aus den 1980ern heute bereits wie aus einer anderen Epoche erscheint?

Der Filmhistoriker David Bordwell sinniert über die Machtverteilung im US-amerikanischen Filmsystem, bei dem die Verleiher die hohen Kosten für zahllose Kopien im Multiplex-System durch den Umstieg auf die Digitalisierung senken wollten, während die Sony-Verantwortlichen die Befreiung des Archivs von den Fesseln der Haptik feiern. Ein Kodak-Manager beklagt den rapiden Niedergang der Verkaufszahlen und Palm den Verlust Tausender Arbeitsplätze, während die Archivare die Abhängigkeit von einem Monopolisten für die Produktion des Filmmaterials fürchten. Dies gilt auch für einige Regisseure, obgleich nur mehr zehn Prozent der Filmemacher im Hollywoodsystem auf Film drehen.

Ein Tricktechniker demonstriert, wie er routiniert die Alterungen von Schauspielern eliminiert, während er über die filmische Zukunft sinniert, in der man digitalisierte Schauspieler ewig jung hält. Wenn Tom Gunning die Transformation als immanenten Charakter des Films verteidigt, bleibt er dabei zwar in einer Minderheitenposition, und doch birgt “Cinema Futures” in seinem Kern eine größere Pluralität als es die Unterlegung vieler Aufnahmen mit Musik aus Horrorfilmen und Sci-Fi-Dystopien oder Kapitelüberschriften wie “Die unfreundliche Übernahme” suggerieren.

Kritik zum Film

Letztlich handelt “Cinema Futures” nicht vom Verschwinden eines Trägermediums, sondern von der wehmütigen Angst vor dem Verlust als solchem. Schließlich gehen durch die notwendige Entscheidung, welche Werke man ins neue digitale Zeitalter migriert und welche man der unweigerlichen Unlesbarkeit überlässt, aufgezeichnete Momente der Vergangenheit unwiederbringlich verloren. Und das gilt mit nostalgischen Augen betrachtet für jeden Werbeclip oder jede Privataufnahme. “Man verliert etwas, das uns erzählt, wer wir waren”, bedauert Martin Scorsese das Unausweichliche.

Das Leben ist letztlich nicht dauerhaft zu bannen. Vielleicht ist das die Erkenntnis von “Cinema Futures” – auch wenn der Film sie selbst nicht zieht. Und zur Beruhigung Erkenntnis Nummer 2: Die Zukunft lässt sich niemals vorhersagen. Das war schon 1895 bei der Erfindung des Kinos so.

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