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Belgische Einigung räumt große Hürde für CETA aus dem Weg

Kanada sieht "noch einiges zu tun"
Kanada sieht "noch einiges zu tun"
Die Chancen für einen baldigen Abschluss des Freihandelsabkommens CETA zwischen der EU und Kanada sind deutlich gestiegen: Nur wenige Stunden nach der Absage der EU-Kanada-Gipfels durch den kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau, auf dem der Vertrag unterzeichnet werden sollte, legte die belgische Zentralregierung den Streit über CETA mit den französischsprachigen Regionen bei.
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Man habe sich auf einen Text geeinigt, der den Kritikpunkten der Wallonie und der Region Brüssel Rechnung trage, sagte Ministerpräsident Charles Michel. Wird der innerbelgische Kompromiss von den übrigen 27 EU-Partnern akzeptiert, könnte der Weg für einen verspäteten Abschluss des Handelsvertrags frei sein.

Die ersten Reaktionen fielen aber zumeist vorsichtig aus. Die kanadische Regierung sprach von einer positiven Entwicklung, doch bleibe noch einiges zu tun. Sie bekundete aber ihre grundsätzliche Bereitschaft, den Vertrag zu unterschreiben, sobald die EU dazu in der Lage sei. EU-Ratspräsident Donald Tusk äußerte sich erfreut. Er werde aber erst Kontakt zu Kanadas Regierungschef Justin Trudeau aufnehmen, wenn auf EU-Seite wirklich alles klar sei, twitterte er. Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagte: “Ich freue mich natürlich darüber, dass sich die Belgier untereinander geeinigt haben und damit der Weg für Europa und Kanada freigemacht wurde”, sagte er. “Jetzt ist erst einmal eine große Hürde genommen und das ist auch gut so.”

Einigung auf Zusatzerklärungen

Die Bedenken in Wallonien und Brüssel richteten sich vor allem auf zwei Themen. Zum einen bemängeln sie das in dem Abkommen vorgesehene Schlichtungsverfahren für Streits mit Investoren. Zum anderen fürchten die Wallonen Nachteile für die Landwirte durch Agrarimporte aus Kanada. Dieser Konflikt sei mit der Einigung auf eine Zusatzerklärung beigelegt, sagte Michel. Walloniens sozialistischer Regierungschef Paul Magnette sagte danach: “Es tut mir leid für die anderen Europäer und unsere kanadischen Partner, dass sie warten mussten.” Es sei aber um wichtige Dinge nicht nur für Wallonien, sondern ganz Europa gegangen: um faire Marktregeln und um den Schutz der Bürger.

Allerdings müssen nicht nur die EU-Partner und Kanada die belgische Zusatzerklärung nun akzeptieren, die den Vertragstext nicht ändert. Auch belgische Regionalparlamente müssen noch grünes Licht geben. Dies solle am Freitag geschehen, sagte Michel. Zudem muss noch das Europäische Parlament darüber beschließen. Und um endgültig und umfassend in Kraft zu treten, müssen am Ende auch noch die nationalen Parlamente der 28 EU-Länder Ja sagen zu CETA.

Wie tief steckt der Karren noch im Dreck?

Trudeau hatte in der Nacht seine Reise nach Brüssel zum EU-Kanada-Gipfel abgesagt, weil bis dahin trotz fieberhafter Bemühungen noch keine Einigung im innerbelgischen Konflikt erzielt wurde und damit die CETA-Unterzeichnung nicht absehbar war. Sein Sprecher betonte aber: “Kanada bleibt bereit, dieses wichtige Abkommen zu unterzeichnen, wenn Europa dazu bereit ist.” Indirekt entschuldigte sich Gabriel bei Kanada. “Ich vermute, kein anderer Partner in der Welt hätte so viel Geduld gehabt, wie die kanadischen Regierung.” CETA sei das beste Handelsabkommen, das die Europäische Union je ausgehandelt habe.

Die CETA-Kritiker in Deutschland sehen das Abkommen auch nach der Einigung in Belgien noch nicht als gesichert an. “Der Karren steckt weiter fest im Dreck”, sagte Felix Kolb von der CETA-kritischen Kampagneplattform Campact. Das Scheitern des Abkommens sei nur aufgeschoben, denn am Ende werde es die notwendige Zustimmung allein schon im deutschen Bundesrat nicht erhalten. Die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, kündigte an, ihre Partei werde für das CETA-Aus in der Länderkammer sorgen.

Der Weg ist noch nicht frei

Wirtschaftsverbände reagierten zwar erleichtert auf die Verständigung in Belgien. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier sagte aber, noch sei der Weg für CETA nicht ganz frei. Zudem bleibe “eine gewisse Katerstimmung”, denn die Glaubwürdigkeit der EU als Verhandlungspartnerin sei schwer angeschlagen. Der Präsident des Industrieverbandes BDI, Ulrich Grillo, forderte klare Verhältnisse in Europa. “Durch ungeklärte Zuständigkeiten in der EU-Handelspolitik droht der EU die Totalblockade”, warnte er. Ähnlich äußerte sich der Präsident des Handelsverbandes BGA Anton Börner. Er nannte CETA ein Vorzeigeprojekt der EU, das nicht scheitern dürfe.

Die EU und Kanada verhandelten seit 2009 über CETA und schlossen die Gespräche im Frühjahr 2016 ab. Beide Seiten erhoffen sich vom Abbau von Zöllen und der Formulierung gemeinsamer Standards mehr Wachstum und Arbeitsplätze. Kritiker bezweifeln das aber und befürchten die Aufweichung von Schutz-Standards und Eingriffe in demokratische Rechte.

Hahn: “Habemus Cetam”

Mit “habemus Cetam” kommentierte EU-Kommissar Johannes Hahn bei seinem Oberösterreich-Besuch am Donnerstag die Einigung in Belgien über das EU-Kanada-Handelsabkommen. Wenngleich er das Verhalten der Provinz Wallonien nicht gut heiße. Erst nach dem Abschluss jahrelanger Verhandlungen zu sagen “Ich hab da noch was”, sei der falsche Weg, kritisierte Hahn.

Außerdem appellierte er in einer in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) in Linz an die EU-Mitgliedsstaaten, davon “Abstand zu nehmen, nationale, innenpolitische Auseinandersetzungen mit internationalen Themen zu verknüpfen”. Wie sich an dem aktuellen Beispiel gezeigt habe, brauche die EU als “machtvolle Struktur auch entsprechende Werkzeuge”. Derzeit könne die Europäische Union nur reagieren und nicht agieren. Konkret meint der EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, dass in Fragen der Außenpolitik “Mehrheitsentscheidungen adäquat” seien und man vom Einstimmigkeitsprinzip abrücken solle.

Die Einigung der belgischen Volksvertretungen über CETA sei “eine gute Nachricht für Europa und eine gute Nachricht für die Exportnation Österreich”, schrieb WKÖ-Vizepräsident Jürgen Roth in einer Aussendung. Nun müsse das Abkommen “unbedingt wie geplant mit Anfang 2017 vorläufig, also ohne Investitionsschutz, in Kraft gesetzt werden. Die EU habe “eine Totalblamage gerade noch einmal abgewendet”.

Umweltorganisationen enttäuscht

Ganz anders sieht die Umweltorganisation Global 2000 die Einigung in Belgien. “Unter welchen Bedingungen dieses Ja erzwungen wurde, ist unfassbar. Mehrere Ersuchen der Wallonie um mehr Zeit wurden in den Wind geschlagen, Nächte durchverhandelt. Das ist kein seriöses Vorgehen, das ist einfach nur ein Armutszeugnis für die EU. Die einzig demokratisch legitimierten Institutionen, nämlich Parlamente, werden so lange unter Druck gesetzt, bis aus einem Nein ein Ja wird. Die Anliegen von Millionen von EuropäerInnen werden mit Füßen getreten”, so Heidemarie Porstner von Global 2000.

Druck sieht auch der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas – allerdings auf der anderen Seite: “Die Erpressbarkeit der EU muss beendet werden”, schreibt er und fordert, dass der EU-Kanada-Gipfel zur Unterzeichnung des Abkommens nun möglichst rasch stattfinden solle. “Die EU ist haarscharf an einer belgischen Blamage vorbeigeschrammt. Die EU ist mehr als die Summe ihrer Teile. CETA ist im gesamteuropäischen und im österreichischen Interesse”, so Karas.

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