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Bregenzer Festspiele: Musik für Posmysz bester Erinnerungsträger

Bregenz - "Musik kann vielleicht am besten ausdrücken, was passiert ist." So kom­mentierte die polnische KZ-Überlebende und Autorin Zofia Posmysz am Tag nach der Uraufführung der Weinberg-Oper "Die Passagierin" in Bregenz bei einem Pressegespräch die Premiere.
Berührende Premiere
Probe zu "Die Passagierin"

“Eine Oper kann die Erinnerung an Auschwitz am besten wachhalten”, gab sich die 87-Jährige überzeugt und zeigte sich von der Bregenzer Inszenierung unter der Leitung von David Pountney beeindruckt. “Als ich 1942 mit Fleckfieber im Revier lag, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich so einen Abend erleben würde”, so Posmysz.

Die 1923 geborene Autorin und Journalistin war mit 18 Jahren von der Gestapo in Krakau nach einer Denunzierung verhaftet worden, weil sie Flugblätter des Widerstands bei sich hatte. Nach sechs Wochen Haft im berüchtigten Gefängnis in der Montelupich-Straße in Krakau wurde sie nach Auschwitz deportiert und verbrachte dort zweieinhalb Jahre als Häftling, bevor sie im November 1944 in einem dreitägigen Fußmarsch nach Ravensbrück evakuiert wurde. Dort wurde sie am 2. Mai 1945 von den Amerikanern befreit.

“Ich war 22, als ich aus dem Lager kam. Ich wollte vergessen und leben”, erklärte sie. 15 Jahre lang schrieb sie nichts dazu, sprach mit niemandem, hatte Alpträume. Sie habe andere nicht mit ihren Erlebnissen “vergiften” wollen, so Posmysz im Rückblick. Als sie als Mitarbeiterin des polnischen Rundfunks auf einer Paris-Reise einer Schar deutscher Touristen begegnete, traf sie auf eine Frau, deren Stimme jener der KZ-Aufseherin Franz – der Lisa in Weinbergs Oper – sehr ähnlich war. “Es war wie ein kategorischer Imperativ, dass ich darüber schreibe”, sagte die Autorin.

Das entstandene Hörspiel, ihr erstes literarisches Werk, wurde auch als Film adaptiert, stets unter den wachsamen Augen der Zensur. Für diesen Film von Regisseur Andrzej Munk schrieb sie ihr Hörspiel in eine Novelle um, aus der in gemeinsamer Arbeit dann das Drehbuch entstand. Weinberg nahm den Stoff auf, 1968 vollendete er seine Oper, die aber in der Sowjetunion nie gespielt werden durfte.

Als sie die Prozesse gegen die NS-Verbrecher verfolgte, habe sie unbewusst damit gerechnet, auch ihre Aufseherin zu sehen, mit der sie als im Lagerbetrieb arbeitender Häftling in einem Büro saß. Sie habe sich gefragt, was sie vor Gericht ausgesagt haben würde. “Das war ein großes moralisches Problem für mich. Ich hätte sie nicht anklagen können. Mir gegenüber hat sie sich anständig verhalten, bis heute weiß ich nicht warum. Dabei war ich kein gehorsamer Häftling”, so Posmysz.

Die Aufseherin erlaubte ihr alle zwei Wochen die Unterwäsche zu wechseln und verbesserte einmal einen ihrer monatlichen Briefe, damit er durch die Zensur ging. Sie könne nicht verstehen, warum Aufseherin Franz das getan habe, wundert sich Posmysz noch heute. “Ich werde mir meine Hände nicht schmutzig machen”, habe die Frau immer gesagt. Sie habe jedoch die Lagerregeln streng eingehalten. Bei Verstößen machte sie Meldung, jemand anderer übernahm die Bestrafung.

Das ihr als propagandistisch erscheinende “Nie vergeben, nie vergeben”, das sich im Libretto von Alexander Medwedew findet, habe jedenfalls nicht sie geschrieben, betonte die Autorin. “Ich bin eine gläubige Person, dazu geneigt, zu vergeben”, sagte sie. Über das Bregenzer Werk wollte sie nicht urteilen. Sie sei nicht berechtigt, etwas zu dem “großen Werk, das ich hier gesehen habe” zu sagen. Sie bewundere die Sänger, die Inszenierung, das Bühnenbild und die Technik. “Die musikalische Form währt länger als Worte”, war sie überzeugt.

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