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Kompetenz-Kompromiss bei Bildungsreform gefunden

Bildungsreform: Kompetenz-Kompromiss, eingeschränkte Modellregionen.
Bildungsreform: Kompetenz-Kompromiss, eingeschränkte Modellregionen. ©APA
Die Kompetenzfrage bei der Bildungsreform ist von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit einem Kompromiss gelöst worden. Die neuen Bildungsdirektionen werden als "gemeinsame Bund-Länderbehörde" eingerichtet. Der Bildungsdirektor wird ein Bundesbediensteter sein, der auf Vorschlag des Landeshauptmanns bestellt wird. In Sachen gemeinsamer Schule dürfen die Länder eingeschränkt Modellregionen einrichten.
Bildungsreform: Bund und Länder einig

In allen Bundesländern sollen Bildungsdirektionen errichtet werden, die die bisherigen Landesschulräte (Bundesbehörden) und Schulabteilungen der Landesregierung (Länderbehörden) ablösen sollen, heißt es in den Unterlagen zur Pressekonferenz. An der Spitze steht ein Direktor, der auf Vorschlag der jeweiligen Landeshauptleute vom Bildungsminister, der auch “oberste Schulbehörde” ist, auf fünf Jahre befristet bestellt wird. Die neue Behörde verwaltet sowohl Bundes- als auch Landeslehrer, das Bundesverwaltungspersonal sowie die Schulaufsicht. Die bisherigen amtsführenden Präsidenten, Vizepräsidenten und Kollegien der Landesschulräte werden abgeschafft, was Einsparungen von sechs Mio. Euro bringen soll.

Bildungsreform - Eckpunkte
Bildungsreform - Eckpunkte

Eingeschränkte Modellregionen

In Sachen Modellregionen für die gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen gibt es ebenfalls einen Kompromiss: Die Bundesländer können diese einrichten, solange sie “klaren Kriterien genügen, wissenschaftlich begleitet und anschließend evaluiert werden”. Einschränkung: Die Gesamtzahl der Standorte in den Modellregionen darf in keinem Bundesland 15 Prozent aller Standorte der jeweiligen Schulart (Volksschule, Sonderschule, NMS, AHS) sowie 15 Prozent aller Schüler der jeweiligen Schulart überschreiten. Offenbar müssen die betroffenen Schulen aber nicht zustimmen – außer Privatschulen: Bei diesen wird nämlich explizit erwähnt, dass sie nicht betroffen sind, außer wenn sie freiwillig mitmachen wollen. Weitere Einschränkung: Der Bund wird die Modellregionen nicht zusätzlich finanzieren, womit keine Mehrkosten entstehen.

Lehrplan: Mehr Freiheiten für Lehrer

Weitere Details des Papiers: Lehrer sollen mehr Freiheiten beim Unterrichten erhalten. Lehrplanabweichungen sind in der Volksschule zu fünf Prozent möglich, im Gymnasium bis zu 33 Prozent. Zum Vergleich: Derzeit beträgt dieser “Autonomiegrad” laut nationalem Bildungsbericht je nach Schule zwischen fünf und zehn Prozent. Jede Schule kann in Abstimmung mit den Schulpartnern selbst ihre Öffnungszeiten sowie Unterrichtsbeginn und Ende festlegen. Das war mit ein paar Einschränkungen schon bisher möglich. Einmal jährlich muss sie einen “Qualitätsbericht” erstellen.

Direktoren entscheiden über ihr Team mit

Aufgewertet wird die Rolle der künftig auf fünf Jahre befristet bestellten Direktoren: Sie können entscheiden, welche neuen Lehrer an ihrer Schule eingestellt werden bzw. welche Pädagogen nicht weiter verlängert werden. Einschränkung: Auswählen müssen sie die Lehrer aus einem Pool an Junglehrern bzw. Lehrern mit befristeten Verträgen, etwa aus bestehenden Lehrerdatenbänken wie “Get your teacher”. Gleichzeitig erhalten sie ein Vetorecht, wenn ihnen ein Lehrer von der Behörde zugeteilt wird. Darüber hinaus können die Direktoren je nach Bedarf entscheiden, ob sie an ihrem Standort statt Lehrern lieber Psychologen, Sozialarbeiter, IT-Experten oder “Talente-Spezialisten” engagieren wollen. Außerdem dürfen sie das Globalbudget der Schule selbst verwalten – was dort hineinfällt, wird nicht ausgeführt.

Zweites “verpflichtendes” Kindergartenjahr kommt

Weitere Eckpunkte: Es wird ein zweites “verpflichtendes” Kindergartenjahr eingeführt, allerdings mit einer Opt-Out-Möglichkeit für Kinder ohne Förderbedarf. Dafür wird für alle Kinder ab 3,5 Jahren ein “individueller Bildungskompass” mit verpflichtenden Sprach- und Entwicklungsscreenings eingeführt.

Eine “Qualitätsoffensive”, allerdings keine Akademisierung soll die Ausbildung in der Kindergartenpädagogik erfahren. Diese verbleibt an den Bundesanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIP) und erhält einen Fokus auf Sprach- sowie Talente- und Begabtenförderung. Kindergarten-Helfer bzw. -Helferinnen erhalten eine einheitliche Mindestausbildung, die Leitungen eine ebenfalls bundeseinheitliche pädagogische Zusatzausbildung.

High-Speed-Internet und WLAN für jede Schule bis 2020

Außerdem soll jede Schule bis 2020 mit High-Speed-Internet und W-LAN ausgestattet werden. Analog zur Nationalstiftung für Forschung wird ab 2017 eine “Bildungsstiftung” eingerichtet, die vom Bund jährlich mit einem Fixbetrag ausgestattet wird und durch private spendenbegünstigte Zuwendungen noch höher dotiert werden kann. Unterstützt werden sollen daraus “innovative Digitalisierungsprojekte bzw. pädagogische Konzepte”.

Faymann sieht “erfreuliche Einigung”

Mit der am Dienstag im Ministerrat beschlossenen Punktuation zur Bildungsreform liege eine “erfreuliche Einigung” auf dem Tisch, das erklärte Bundeskanzler Werner Faymann im Pressefoyer nach dem Ministerrat. Das Thema habe die politische Lager lange “auseinanderdividiert”. Die Regierung und die Bundesländer befänden sich nun aber auf einem gemeinsamen Weg.

Opposition zeigt sich wenig begeistert

Wenig begeistert zeigt sich die Opposition von den Eckpunkten zur Bildungsreform. Diese sei “deutlich verbesserungsbedürftig”, kritisierten die Grünen. Die NEOS sahen einen “lauwarmen”, das Team Stronach einen “typisch österreichischen” Kompromiss. Die FPÖ ortete ein “Sammelsurium an Überschriften und Scheinaktivitäten”.

Für Lehrer “ambitioniert” bzw. “Nordkorea”

Der Vorsitzende der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft, Paul Kimberger (FCG), hält die Einigung zur Bildungsreform für “durchaus ambitioniert”. Allerdings müsse man dazu sagen, dass meist “nicht über Gesetze, sondern über Ressourcen gesteuert wird”, so Kimberger zur APA. Kimberger sieht “einige Schwerpunkte richtig gesetzt” und nannte dabei den Fokus auf Kleinkind- und Elementarpädagogik wie etwa das zweite Kindergartenjahr, die Neugestaltung der Schuleingangsphase inklusive Datenaustausch zwischen Kindergarten und Schule oder die Entbürokratisierung bei Schulversuchen. Auch die Lösung bei den Modellregionen zur gemeinsamen Schule begrüßt Kimberger: “Da kann viel getestet werden über einen ausreichenden Zeitraum.” Außerdem sei die wissenschaftliche Evaluierung vorgegeben.

Modellregionen: “Nur noch Eintopfschulen”

Ganz anders sieht die Modellregionen die AHS-Lehrergewerkschaft – und hier vor allem den Umstand, dass Schulen in einem Bundesland auch ohne Zustimmung der Schulpartner bei Einhaltung einer Obergrenze von 15 Prozent der Schulen bzw. Schüler in Modellregionen fallen können. “Es gibt dann keine Volksschulen, keine Hauptschulen, keine Neuen Mittelschulen, keine Gymnasien und keine Sonderschulen mehr, sondern ausschließlich Eintopfschulen”, so der Vorsitzende der AHS-Lehrergewerkschaft, Eckehard Quin (FCG), in einer Aussendung. “Da das niemals die Zustimmung der betroffenen Eltern, Schüler und Lehrer gefunden hätte, führt die Regierung Schuldiktatur a la Nordkorea ein.”

Bei der Schulverwaltung hofft Kimberger, dass mit den Bildungsdirektionen der Streit über die Zuständigkeiten endlich beendet ist. Diese sollten künftig als “Back Office” für die autonomen Schulen gesehen werden. Skeptisch ist Kimberger bei der Umsetzung vieler Maßnahmen: “Im Schulbereich wird nicht über Gesetze gesteuert, sondern über Ressourcen. Und da wird man nicht umhin können, den Schulen mehr davon zu geben.”

Mehr Verwaltung und Bürokratie?

Als problematisch wertete er auch die künftig vorgeschlagenen größeren Verwaltungseinheiten mit 200 bis 2.500 Schülern. “Im ländlichen Bereich muss man da schauen, was man macht, weil fast keine Schule auf 200 Schüler kommt”, so Kimberger. “Ganz schwindlig” wird ihm angesichts der Fülle an vorgesehenen Evaluierungen und Bewertungen: “Da muss man aufpassen, dass nicht ein deutliches Mehr an Verwaltung und Bürokratie entsteht. Wir wollen mehr Autonomie, und auf der anderen Seite wird standardisiert auf Teufel komm raus.” Auch bei den Direktoren sieht Kimberger Handlungsbedarf: Die Position sei ohnehin kaum mehr attraktiv – mit einer Befristung schrecke man nur die letzten verbliebenden Interessenten ab. Eine Möglichkeit zur Abhilfe wären mehr Sekretariate und Supportpersonal.

Bundesschulsprecher “froh über kleine Reform”

Bundesschulsprecher Maximilian Gnesda (Schülerunion) ist “prinzipiell froh, dass es zu einer kleinen Reform gekommen ist”. Das Bekenntnis zur Schulautonomie und die durchgehende Objektivierung der Direktorenbestellung hob er dabei hervor. Skepsis äußerte er bei den Gesamtschul-Modellregionen: Einerseits habe man betont, dass man die Schulpartner bei der Entscheidung über Modellregionen einbinde, andererseits dürften die in diese Modellregionen fallenden Schulen dann nicht mehr darüber entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht. Außerdem könnten etwa in Wien Modellregionen locker umgangen werden, indem man eine Schule zwei Busstationen weiter besuche.

Gut gefallen Gnesda neben der stärkeren Digitalisierung auch die meisten Punkte bei der Schulautonomie. Manches sei aber nicht klar ausformuliert: So gebe es etwa die Möglichkeit, fünf Prozent der Lehrerstellen in Supportpersonal umzuwandeln: “Was passiert aber dann mit den Stunden, die so wegfallen?”

(APA)

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