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Arlamovsky im Interview: "Man muss Kinder lieben, egal woher sie kommen"

Die menschliche Fortpflanzung wird zunehmend ausgelagert. Wie weit die Reproduktionsmedizin bereits ist und welche Ausmaße der "Infertilitätstourismus" genommen hat, zeigt die Doku "Future Baby", die am 15. April in den Kinos startet.

Im APA-Interview rät die österreichische Dokumentarfilmerin Maria Arlamovsky, sich mit der Entwicklung auseinanderzusetzen, bevor sie uns überrollt.

Sie selbst haben drei Kinder (davon einen Adoptivsohn), und zwei Pflegekinder. Haben Ihre unterschiedlichen Wege, Mutter zu werden, “Future Baby” inspiriert?

Maria Arlamovsky: Das war ein ganz starker Grund, mich mit Frauen und Männern zu beschäftigen, dank deren man Kinder hat. Wenn ich adoptiere oder ein Pflegekind habe, gab es davor jemanden, der dieses Kind geboren hat. Da entsteht eine Beziehung, ob man will oder nicht. Wenn ich ein Kind liebe, muss ich auch lieben, woher es kommt. Gerade in der neuen Reproduktionsmedizin wird von sehr vielen Leuten ausgeblendet, dass es Eizellen- und Samenspender und Leihmütter braucht, um diese Kinder, die unbedingt gewollt sind, zu bekommen. Deshalb habe ich mit “Future Baby” versucht, all diese Bilder, die so gerne voneinander getrennt werden, wieder zusammenzufügen.

Im Film lernen wir Leihmütter und Eizellenspenderinnen kennen, nicht aber Samenspender. Haben Sie den Zugang nicht erhalten?

Arlamovsky: Ich habe mich dermaßen geärgert, dass wir es als großes Rechercheteam nicht geschafft haben, wenigstens einen aktiven Samenspender zu bekommen. Man muss ihn ja nicht unbedingt beim Masturbieren filmen, aber ich hätte mich zumindest gerne mit ihm unterhalten, weil es nur dann ein Gleichgewicht gewesen wäre. Aber interessanterweise werden die extrem geschützt, während ich Frauen am Tablett serviert bekommen habe, die ich von oben filmen konnte, während ihnen die Eier herausgezogen werden. Das ist in keinerlei Verhältnis, aber so war es eben.

Als Laie sieht man die künstliche Befruchtung vorrangig als Möglichkeit bei Unfruchtbarkeit. Ihr Film aber zeigt, dass es mittlerweile ein riesiges Geschäft mit vielerlei Kunden ist. Welche Ausmaße hat das bereits angenommen?

Arlamovsky: Ganz viele Mediziner haben mir bestätigt, dass jetzt nur der Anfang gemacht wurde mit Leuten, die aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen können. Aber der eigentliche Markt werden die sein, die jetzt jung sind und bald Kinder haben wollen. Denn denen wird massiv eingeredet werden, dass sie ihre Eier jung einfrieren sollen, weil man heutzutage zuerst sein Leben lebt und wenn man das Gefühl hat, genug Party und Karriere gemacht zu haben, auf die Eier zurückgreifen kann. Wenn das passiert, bedeutet das, dass wir dann Kinder in der Petrischale machen werden. Und wenn sie mal in der Petrischale sind und ich sieben Embryonen zur Auswahl habe, ist die genetische Selektion der nächste logische Schritt. So kommt ganz viel ins Rollen, das wir noch gar nicht abschätzen können.

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eo1k0wtm © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

Passiert Ihrer Einschätzung nach bereits viel, noch bevor etwaige ethische und juristische Fragen geklärt werden?

Arlamovsky: Gerade weil es von so vielen Leuten diesen Leidensdruck gibt, ist der Industrie bewusst, dass es große Märkte gibt. Wenn ich einer jungen Frau heute einreden kann, ihre Eier einzufrieren, dann muss sie viele Zyklen für viele Eier machen und jede Prozedur kostet etwas. Und dann muss sie jedes Jahr Lagergebühren zahlen, das hört also nie auf. Das ist ein super Geschäftsmodell! Dabei gibt die amerikanische Food and Drug Administration an, dass man eine nur 13-prozentige Chance hat, dass aus diesen tiefgekühlten Eizellen am Schluss ein Kind rauskommt. Das ist ein Witz, da kann man gleich sein Geld anders investieren oder einfach früher Kinder bekommen. Aber wir überlegen uns diese Sachen nicht mehr, weil es vermeintliche Lösungen gibt.

Bei vielen Menschen, die Sie in Ihrem Film in diesem Prozess zeigen, hat man das Gefühl, dass sie nicht wirklich wissen, worauf sie sich einlassen. Wie haben Sie diese Menschen mit so dringendem Kinderwunsch erlebt?

Arlamovsky: Wenn man in einer Situation ist, in der man dringend ein Kind will und es bereits monate- oder jahrelang versucht und nur noch nach Termin mit jemandem geschlafen hat, hat man nicht mehr sehr viel Kompetenz, die Augen aufzumachen und sich diese Heilsversprecher anzuschauen. Da gibt es diese Person, die sagt, was man alles tun kann, und in diesen Momenten ist man ganz klamm. Ich wollte “Future Baby” auch machen, damit man sich das in Ruhe mal durchdenken kann, was geht bei mir und was gar nicht?

Können Sie diesen tief verankerten Kinderwunsch, komme was wolle, nachvollziehen?

Arlamovsky: Ja, ich komme aus einer Familie, wo mein Vater gesagt hat: “Der Sinn des Lebens ist es, Kinder zu bekommen.” Ich verstehe, wenn schwule Paare oder Singles Kinder möchten, weil Kinder großziehen zu wollen einfach ein Teil des Lebens ist, der nicht so kontrollierbar ist und an dem man auch wächst. Aber heutzutage glaubt man, dass alles so planbar ist und aus Legosteinchen besteht, die man sich dann zusammensetzt. Wenn man mal Kinder hat, ist gar nichts mehr plan- und vorhersehbar. Das wird vergessen in einem System, das einem vermeintlich vormacht, wenn ich eins und eins zusammensetze, passiert zwei.

Sie machen in “Future Baby” auch deutlich, dass im Zuge dieses “Infertilitätstourismus” auf die Kinder vergessen wird.

Arlamovsky: Das ist die größte Krux bei der Geschichte. Bei Adoption und Pflegschaft gibt es mit dem Jugendamt eine Behörde, die schaut, ob diese Eltern befähigt sind, Kinder aufzunehmen. Ob das fair ist oder nicht, ist eine andere Frage, aber zumindest gibt es eine objektive Ombudsstelle, die für das Kind eintritt. Im Moment ist es so, dass der einzelne Arzt entscheidet, ob er einer 65-Jährigen Vierlinge einsetzt oder einem Single-Mann mit 13 Leihmüttern 15 Kinder macht. Das ist im Ermessen der Leute, die das verkaufen, und das ist nicht richtig. Und das Kind muss später ein Recht darauf haben zu wissen, wie es entstanden ist oder ausgetragen wurde. Die junge Frau aus Israel im Film etwa macht sich Sorgen, weil es in diesem kleinen Land nur wenige Samenspender gibt, die sehr viel eingesetzt werden, und sie fürchtet, sie könne ein Inzestproblem bekommen, wenn sie mit einem Jungen schläft. Es ist komisch, dass diese Folgeprobleme nicht durchdacht werden.

…und wenn, dann muss es international gelöst werden.

Arlamovsky: In Österreich gab es ja letztes Jahr eine kleine Öffnung im Gesetz (wonach Eizellenspenden nun gesetzlich möglich sind, Anm.), aber eine Single-Frau kann hier noch immer weder Samen noch Eizelle bekommen. Es gibt noch immer das konservative Familienbild, wonach nur Paare ein Kinder großziehen können. Der österreichische Standpunkt ist sehr biokonservativ, das hat sicher auch mit unserem nationalsozialistischen Erbe zu tun. Wenn ich etwas in Österreich nicht machen kann, brauche ich nur nach Prag oder Bratislava fahren und kann dort alles machen lassen. Wenn ich “sex selection” will, kann ich nach Zypern fahren. Das ist so easy und schnell.

Auch Leihmutterschaft ist hier undenkbar, andernorts aber – wie “Future Baby” zeigt – gang und gäbe. Ein berührender Moment zeigt eine mexikanische Leihmutter, die nach dem Kaiserschnitt auf dem OP-Tisch links liegen gelassen wird, während die amerikanischen Eltern das Neugeborene fotografieren und filmen.

Arlamovsky: Das ist das, wo’s mir wehtut. Wenn ich Kinder mit Hilfe von fremden Samen, einer Eizelle oder eben einem Uterus bekomme, dann gibt es diese dritte Partei. Dann nur zu sagen, das ist ein Behältnis, das brauche ich nachher nicht sehen, das muss ich dem Kind nie erzählen, finde ich ganz schlimm. Anstatt dass wir dankbar und respektvoll sind und sagen, diese Frau sollte auch in der Geburtsurkunde stehen, wischen wir das alles vom Tisch. Leihmutterschaft zu verbieten, ist fatal, weil es dann in die Illegalität abrutscht und Frauen noch mehr ausgebeutet werden. Es sollte eher so etwas geben wie eine Bewegung bei den Sexarbeiterinnen. Das sind einfach Frauen, die sagen, sie wollen das machen und es ist ihre Arbeit, Punkt. Dann hat man einen Partner auf Augenhöhe. Wenn das eine Frau ist, die aufgeklärt wurde und geschützt wird, damit sie es nicht fünf Mal hintereinander macht, dann können wir uns an eine moralisch zu rechtfertigende Situation herantasten.

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4xq2qrhb © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

Der Film suggeriert, dass die Leihmutter eines Tages dank künstlicher Gebärmütter gar nicht mehr nötig sein wird. War das eine Nachricht, die Sie selbst unangenehm überrascht hat?

Arlamovsky: Das war für mich sehr gruselig, denn mit meinen zwei Kindern war ich sehr gerne schwanger. Dass ein Kind neun Monate in dieser Glastüte schwimmt und niemand mit ihm eine Beziehung aufbaut, ist für mich etwas Unvorstellbares. Aber eine Bioethikerin hat mich schon zum Denken gebracht mit dem Hinweis: Wenn wir uns das nicht überlegen, es dann aber stattfindet, ist es zu spät und die Technik hat uns überrollt. Da ist es wesentlich besser, sich jetzt zu überlegen, was die Alternativen sind und wie man das regeln kann, damit es ok ist. Wir dürfen uns nicht verwehren, andere Modelle anzudenken. Egal, ob wir es richtig finden oder nicht.

Haben Sie für sich die eingangs im Film gestellte Frage beantwortet: “Wie weit wollen wir gehen?”

Arlamovsky: Ich persönlich habe das vor dem Film für mich beantwortet, weil ich mich entschieden habe, nicht in die Reproduktionsmedizin hineinzugehen, sondern zu adoptieren und Pflegekinder zu haben. Das sind so komplexe Fragen, die kann man nicht simpel beantworten. Ich glaube, wir sollten anfangen, die Verantwortung für die Beantwortung dieser Fragen nicht abzuschieben, sondern selbst zu überlegen, wie weit wir unser Denken dehnen können und was gesamtgesellschaftlich richtig ist. Das kann man nur persönlich für sich herausfinden. Ich merke schon, ich bin offener geworden, weil ich Menschen kennengelernt habe, die mir plausibel machen konnten, warum sie dieses oder jenes machen. Dadurch wird man toleranter. Wenn ich jemanden persönlich kenne, habe ich keine Angst mehr davor und muss nicht schwarzmalen. Gerade bei so komplexen Fragen das nur auf schwarz-weiß niederzubrechen, ist zu wenig – auch politisch.

>> Hier geht es zur Filmkritik von “Future Baby”

(Das Gespräch führte Angelika Prawda/APA/ Bilder: Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH)

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