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"Angriff unter der Gürtellinie bringt mich zur Weißglut"

W&W traff den passionierten Kämpfer für die Arbeitnehmerschaft am Alten Rhein.
W&W traff den passionierten Kämpfer für die Arbeitnehmerschaft am Alten Rhein. ©Sams
AK-Präsident Hubert Hämmerle im WANN & WO-Interview über den 12-Stunden-Tag, seine Zweifel an Türkis-Blau und warum ihn Egon Blum enorm geprägt hat.

Von: Joachim Mangard (WANN &WO)

WANN & WO: Sie haben eine Lehre als Mechaniker und Werkzeugmacher absolviert. Eine schöne Zeit für Sie?

Hubert Hämmerle: Das Theoretische war zunächst nicht das Meine, deshalb hatte ich bei der Lehre immer das Gefühl, richtig zu liegen. Die Kombination mit der Praxis war genau das Richtige und die Basis für meine Karriere. Ich war mein Leben lang Arbeitnehmer, darunter 29 Jahre bei der Firma Blum, in den unterschiedlichsten Bereichen.

WANN & WO: Sie waren auch sieben Jahre lang Assistent von „Lehrlingspapst“ Egon Blum. Wie stark hat Sie diese Periode geprägt?

Hubert Hämmerle: Neben einem Charakter wie ihm zu arbeiten, ist eine einzigartig wertvolle Erfahrung. Er hat es perfekt verstanden, seine Mitarbeiter zu fordern, ihnen aber gleichzeitig ehrliche Wertschätzung zuteil werden lassen. Diese Art des Umgangs mit dem Menschen hat mich sehr beeindruckt und in meinem Tun geprägt. In meinen 20 Jahren als Betriebsrat konnte ich viel bewegen und bekam detaillierten Einblick in die Probleme unserer Mitarbeiter. Umso spannender war der Umgang mit beiden „Lagern“, man hatte nie das Gefühl, ein benachteiligter Gegenspieler der Geschäftsleitung zu sein.

WANN & WO: Welchen Stellenwert hat die Lehre im Land Vorarlberg?

Hubert Hämmerle: Einen hohen, was man auch am aktuell diskutierten Fachkräftemangel sieht. Gute schulisch ausgebildete Kräfte, die über eine HAK oder HTL kommen, sind genauso wichtig. Ich möchte aber hier die viel zitierte Aussage von Egon Blum anführen: „Es nützt mir nichts, wenn wir nur studierte Leute haben, die mir in fünf Sprachen erläutern können, dass die Maschine nicht läuft. Ich brauche solche, die sie reparieren können.“ Wir dürfen uns aber nicht blenden lassen. Vorarlberg schmückt sich oft mit „Highlight“-Betrieben in Sachen Ausbildung. Trotzdem braucht es gesunde Kritik. Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Bei uns gibt es viele Klein- und Mittelbetriebe, in denen der Chef vielleicht nicht immer Zeit für alle Anliegen seiner Lehrlinge findet. Deshalb wollen wir hier von Seiten der Arbeiterkammer her unterstützend unter die Arme greifen. Gerade bei Betrieben, die ausbilden, aber z.B. keinen eigenen Lehrlingsverantwortlichen haben.

WANN & WO: Kürzlich äußerte sich LH Wallner zum ersten Mal kritisch gegenüber Türkis-Blau. Wie zufrieden sind Sie mit dem „Neuen Stil“?

Hubert Hämmerle: Ich halte es da mit dem Tiroler AK-Präsidenten Erwin Zangerl, der sich auf die „Sozialen Schwarzen“ im Westen beruft. Im Osten seien es die „Unsozialen Türkisen“. Mich überrascht der „Neue Stil“. Veränderung geht zwar meist mit Betroffenheit einher, ich sehe aktuell aber leider für große Teile der Bevölkerung eklatante Abstriche. Als Arbeitnehmervertreter sehe ich viele der Maßnahmen viel zu oder gar total wirtschaftslastig. Ich erwarte mir mehr Gesprächsbereitschaft und eine Kommunikation, die neutral und sachlich ohne Beschimpfungen geführt wird. Der „Neue Stil“ beinhaltet auch die Ausklammerung von handelnden Personen. Ein kleiner türkis-blauer Kreis bestimmt. Unsere Position wird als Klassenkampf abgestempelt. Das ist blinder Populismus. Die Industriellenvereinigung und Teile der Wirtschaft greifen stark in die Politik ein und betreiben im Grunde einen Klassenkampf, der vor allem eine Position vertritt – die Wirtschaft. Als Arbeitnehmervertreter bleibt uns quasi nur die Möglichkeit, Fehlentwicklungen aufzuzeigen, Medienarbeit zu betreiben und in letzter Konsequenz Maßnahmen bis hin zum Streik zu ergreifen. Und solange wir nicht miteinbezogen werden, ändern sich auch unsere Eskalationsstufen.

WANN & WO: Beide Seiten bedienen sich immer mehr populistischer Mittel, z.B. in Form des stark kritisierten WKO-Videos zum 12-Stunden-Tag. Wie viele Lobbys, Interessenvertretungen, Kammern und Sozialpartner verträgt die öffentliche Debatte?

Hubert Hämmerle: Die Sozialpartnerschaft ist eine gelebte Wirklichkeit mit gesetzlicher Verankerung. Zu einer Sozialpartnerschaft gehört keine Industriellenvereinigung, diese ist ein Lobbyisten-Verein. Trotzdem wirkt sie auf die Politik ein, wie ein offizieller Sozialpartner. Zumindest dann, wenn es zu ihrem Vorteil ist. Gleichzeitig steht sie an vorderster Front, wenn es um Kritik an der Sozialpartnerschaft geht. Diese Form des „Neuen Stils“ trage ich einfach nicht mit.

WANN & WO: Folgt der 12-Stunden-Tag nicht im Gegenzug für das Zugeständnis der Mindestsicherung?

Hubert Hämmerle: Absolut nicht. Wir müssen uns klar sein, dass der 12-Stunden-Tag ein klare Bestellung aus Wirtschaftskreisen ist. Das jetzt so zu verkaufen, als ob dies Vorteile für beide Seiten bringt, mag im Einzelfall stimmen. Das Arbeitszeitgesetz dient zum Schutz der Arbeitnehmer. Als Vertreter müssen wir ausloten, wo die Schutzbedürftigen zu finden sind. Im neuen Modell haben sich die Zugriffsbestimmungen der Wirtschaft enorm vergrößert, Betriebsrat und Mitbestimmung werden ausgehebelt – ganz im Sinne des „Neuen Stils“. Man muss mir auch nicht erzählen, das im bisherigen System sämtliche Überstunden freiwillig erbracht werden. Flexible Arbeitszeiten sind wichtig für alle, dürfen aber nie zulasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Unternehmer eingefordert werden. Wir wollen auch keine Gesellschaft, in der nur die Arbeit Lebensqualität diktiert. Mit dem jetzigen System haben wir gerade einen Rekord-Export erwirtschaftet. So schlecht kann unser Standort also mit dem aktuellen Schema nicht sein.

WANN & WO: Wieso ist die AK so wichtig für unser System, gerade auch in Bezug auf die geforderte Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft?

Hubert Hämmerle: Interessanterweise wurde die Diskussion von Seiten der Neos und den Freiheitlichen aus entfacht, nicht von Mitgliederseite aus. Deshalb sehe ich auch nicht ein, wieso wir uns politischen Kräften beugen sollen. Wenn es von Seiten der Mitglieder kommt, dann werden wir selbstverständlich über die im Österreich-Schnitt bei 7 Euro pro Monat liegenden Beiträge reden müssen. Diese Einnahmen kommt direkt der Arbeiterschaft zugute, z.B. in Form von Rechtsbeistand.

WANN & WO: Wieso ist Streikkultur in Österreich ein Fremdwort?

Hubert Hämmerle: Dank der Sozialpartnerschaft. Weil wir über die Jahre im Normalfall immer einen Weg am Verhandlungstisch gefunden haben. Die 100.000 in Wien waren aber schon ein Zeichen, dass die Leute sich nicht mehr alles gefallen lassen.

WANN & WO: Sind Sie ein typischer Lustenauer?

Hubert Hämmerle: Absolut. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und habe mein Leben hier verbracht. Ich bekenne mich stark zu Vorarlberg und Österreich. Als kleines Land machen wir vieles richtig und können auf eine wunderschöne Natur stolz sein.

WANN & WO: Was sind Ihre positiven beziehungsweise negativen Charaktereigenschaften?

Hubert Hämmerle: Positiv ist sicher meine hohe Reizschwelle. Ich glaube, dass ich ein beherrschter und ruhiger Typ bin. Bis zu einem gewissen Grad. Trotzdem gilt, wer schreit verliert. Was mich wirklich stört, sind „intelligenzbefreite“ oder „dumme“ Aussagen (schmunzelt). Wenn unterhalb von jeder Wertschätzung und Niveau kommentiert und agiert wird, muss ich mich schon zusammenreißen. Angriff unter der Gürtellinie bringt mich zur Weißglut. Das geht mir aktuell mit der Debatte um den 12-Stunden-Tag so. Mit dem Thema stehe ich auf und es begleitet mich ins Bett.

WANN & WO: Sie sind verheiratet und Familienvater. Wie haben Sie Beruf und Privatleben unter einen Hut gebracht?

Hubert Hämmerle: Beruf und Privatleben gingen bei mir immer Hand in Hand. Meine Frau und Kinder waren immer über meine Tätigkeiten im Beruf informiert und stehen mir mit Rat und Tat zur Seite. Genauso habe ich es mit meinen Kollegen gehalten, wenn es um familiäre Dinge gegangen ist. Auf unseren Grillpartys war schon die ein oder andere Kollegin überrascht, wie viel Einblick meine Frau in so manche Diskussion hatte. Und eines der ersten Worte, das mein Sohn, bevor er lesen konnte, einem Logo zuordnen konnte, war Blum. Das zweite war Mc Donald’s (schmunzelt). Lukas wandelt inzwischen in meinen Fußstapfen und ist Betriebsrat bei Blum. Als Arbeiterkammer-Präsident steht man in der Öffentlichkeit, worauf meine Frau anfangs skeptisch reagiert hat. Ich bringe jede Einladung mit nach Hause, sie entscheidet dann, ob sie mitgehen möchte. Bei der ersten gesellschaftlichen Veranstaltung hat sie mir gedroht, dass sie auf dem Absatz kehrt macht, sobald ich sie alleine lassen würde. Inzwischen kennt sie aber selbst genügend Leute, sodass auch ich mal kurz austreten darf (schmunzelt).

WANN & WO: Im Herbst beginnt der Wahlkampf für die AK-Wahl. Wie bereiten Sie sich vor?

Hubert Hämmerle: Eine Wahl gewinnt man nicht in der Vorbereitung, sondern in den fünf Jahren der Tätigkeit. Im einem Wahlkampf kann man eine Wahl verlieren, gewinnen kann man sie nur mit der geleisteten Arbeit. Das funktioniert nur im Zusammenspiel von Unternehmern, Betriebsräten, Arbeitnehmern und den Sozialpartnern.

WANN & WO: Die wichtigste Frage am Schluss: FC oder Austria Lustenau?

Hubert Hämmerle: Lustenau. Meine beiden Söhne haben jeweils in einem der Vereine gespielt. Und da lasse ich mich politisch nicht instrumentalisieren, egal wie fest das noch in so manch einem Kopf in Lustenau verankert ist. Beide Vereine leisten gute Arbeit.

WORDRAP

Arbeiterkammer: Stimme der Arbeitnehmer.

Konzern: Lieber Familienbetrieb.

Arbeitnehmer: Leistungsträger in unserer Gesellschaft.

Fachkräftemangel: Ausbilden, Ausbilden, Ausbilden.

Lehre in Vorarlberg: Sehr wichtig.

„Ein schwarzer AK-Präsident“: Ein Arbeitnehmervertreter.

Gewerkschaft: Kämpfer für Arbeitnehmer.

Zur Person

Zur Person: Hubert Hämmerle Wohnort, Alter: Lustenau, 57 Aktuelle Position: Präsident Arbeiterkammer Vorarlberg Familienstand: Verheiratet mit Christine, eine Tochter, zwei Söhne Hobbys: Musik hören (am liebsten live), Radfahren, Grillen, gemeinsame Zeit mit Freunden, z.B. im Gasthaus am Rohr

(WANN & WO)

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