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Aktivistin Nina Kov: "Jeder in Europa hat Flüchtlingsblut"

Für Flüchtlinge ist es oft schwierig, an Informationen zu kommen.
Für Flüchtlinge ist es oft schwierig, an Informationen zu kommen. ©APA/Erwin Scheriau
Die ungarische Aktivistin steht hinter einem Team, das für Flüchtlinge eine Smartphone-App entwickelt hat, auf der sie aktualisierte Informationen über Grenzschließungen, Bus-Fahrpläne und Asylgesetze finden.
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Welche Grenze ist offen? Wann und wo fahren Busse? In welchem Land gibt es neue Asylgesetze? Die Liste der Fragen, mit denen Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa dieser Tage auf der Balkanroute vor verschlossenen Übergängen stehen, ist lang. Antworten sind rar. Ein ungarisches Aktivistenteam hat eine Smartphone-App mit genau diesen Themen entwickelt und bemüht sich nun, den verzweifelten Schutzsuchenden die Antworten direkt in die Hosentasche zu schicken.

InfoAid heißt die kostenlose Anwendung, die ein Ehepaar aus Ungarn gemeinsam mit zwei Programmierern ausgetüftelt hat. Die App kann sechs Sprachen: Arabisch, Urdu, Paschtu, Farsi, Englisch und Ungarisch. “Die Menschen wissen oft nicht, was los ist, ihnen fehlen Informationen”, sagt Nina Kov vom InfoAid-Team. Manchmal würden den Flüchtlingen “absichtlich” Infos vorenthalten, sagt sie am Wochenende in Budapest der Nachrichtenagentur AFP.

So hätten sich vor über zwei Wochen etliche Flüchtlinge in Budapest in einen Zug gezwängt, mit der Info, es gehe nach Österreich. Gebracht wurden die Menschen allerdings in ein Flüchtlingslager ganz in der Nähe der Hauptstadt. “Es ist eine Sache, in Ungarn keine richtigen Informationen zu bekommen”, sagt die 34-jährige Aktivistin dazu. “Aber absichtlich in die Irre geführt zu werden, ist unverschämt.”

Immer mehr Nutzer

Diese “Fehlinformationen” brachten für Kov das Fass zum Überlaufen. Sie schnappte sich ihren Mann und zwei befreundete Programmierer, das “Hirn” der Truppe, wie sie sagt, und legte los. In nur zwei Tagen stand die App. “Wir senden jedem Nutzer nun Neuigkeiten zu Grenzschließungen, Busfahrten von A nach B, aktuellen Asylverfahren, Gesetzen in Ungarn und so weiter.”

Einer der Programmierer, der afghanisch-ungarische Aktivist Enys Mones sagt AFP, dass InfoAid schon 700 tägliche Nutzer hat, pro Tag kommen hundert weitere hinzu. Die kleine Aktivistengruppe setzt auf Mund-zu-Mund-Propaganda – und sucht weitere Übersetzer, um das Sprachangebot ausweiten zu können. “Griechisch kommt als nächstes”, sagt Kov. “Dann können die Aktivisten dort den Flüchtlingen auf dem Weg nach Norden weiterhelfen, was sie erwartet.”

Kov: “Man muss nur tief genug in sich hineinschauen”

Ungarn glänzte in der derzeitigen Flüchtlingskrise mehrfach eher durch fragwürdige Schlagzeilen. Das Land schottet sich nach und nach mit Zäunen an seinen Grenzen ab und zwingt die Asylsuchenden auf alternative Wege entlang der Balkanroute. Da aber auch Kroatien und Slowenien zunehmend mit dem Ansturm überfordert sind, werden die Menschen hin- und hergeschoben und entsprechend groß ist der Bedarf an Informationen in den ihnen fremden Ländern.

Die in Paris geborene Aktivistin Kov hat selbst gewissermaßen einen Flüchtlingshintergrund. Ihr deutschstämmiger Großvater war 1946 gezwungen, sein Haus in Rumänien zu verlassen, ihr russischer Vater wanderte dann in den späten 70er Jahren von Ungarn nach Frankreich aus. “Jeder in Europa hat Flüchtlingsblut”, sagt sie. “Man muss nur tief genug in sich hineinschauen.”

(APA, Red.)

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