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Abschied mit Visionen

Gabriele Nußbaumer geht mit einer Vision.
Gabriele Nußbaumer geht mit einer Vision. ©Stiplovsek
Götzis - Sie war selbst Mutter eines behinderten Kindes und kennt die Bedürfnisse betroffener Eltern auch deshalb besonders gut. Während ihres Engagements bei der Lebenshilfe, aber auch darüber hinaus hat Gabriele Nußbaumer stets versucht, Verbesserungen zu erreichen. Ihren Abschied als Lebenshilfe-Präsidentin untermalt sie im Interview mit den VN mit einer Vision.

Ihr Rücktritt als Landtagsvizepräsidentin kam überraschend. Wie verhält es sich mit dem Ausscheiden als Lebenshilfe-Präsidentin?

Nußbaumer: Das kommt nicht überraschend, denn die Periode, für die ich gewählt wurde, läuft jetzt aus. Ich war ja früher schon einmal Präsidentin. Inzwischen sind es insgesamt zehn Jahre. Nun freue ich mich, dass jemand gefunden wurde, bei dem ich sicher sein kann, dass es gut weiterläuft.

Welches Resümee ziehen Sie?

Nußbaumer: Wir sind ein paar Schritte weitergekommen, aber es gibt immer noch Themen, die zäh umzusetzen sind. Ein großes Ziel ist die Anstellung von Menschen mit Behinderung als Beitrag zu deren sozialer Absicherung. Sie sollen nicht ihr Leben lang von den Eltern oder vom Staat abhängig sein. Doch es ist schwierig, obwohl alle Bundesländer mitziehen und auch von Politikern bestätigt wird, dass die Taschengeldgesellschaft nicht unserer Zeit entspricht.

Scheitert es an der Finanzierung?

Nußbaumer: Es käme den Staat nicht viel teurer, denn Dienstleistungen müssen zur Verfügung gestellt werden. Aber wenn Menschen mit Behinderung diese selbst bezahlen könnten, hätten sie mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Selbstbewusstsein. Die meisten arbeiten acht Stunden täglich und erhalten dafür am Ende des Monats 100 Euro, wenn es gut geht. Ein Mensch mit Behinderung kann nicht in Pension gehen, weil er keine bekommt. Er ist auf die Mindestsicherung angewiesen, den guten Willen des Staates und seiner Familie. Das widerspricht auch dem Inklusionsgedanken.

Wo müssten die Hebel angesetzt werden, um das zu ändern?

Nußbaumer: Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, welche Hebel man da bedienen müsste. Überall, wo ich dieses Anliegen vorbrachte, erhielt ich größte Zustimmung. Es gibt ja auch Studien dazu. Man weiß, dass es eigentlich ein Nullsummenspiel wäre. Es scheitert vermutlich einfach daran, dass es kein brisantes Thema ist.

Menschen mit Behinderung werden als versorgt betrachtet?

Nußbaumer: Ja, und deshalb sieht niemand einen großen Anlass, daran etwas zu ändern. Gleichzeitig besteht Offenheit für Argumente, warum das notwendig wäre. Trotzdem geht nichts weiter. Das ist schon ein Wermutstropfen.

Es gab Zeiten, da gab es auch für die Lebenshilfe Vorarlberg nur die Taschengeldstrategie.

Nußbaumer: Das Problem ist, dass mit einer Anstellung der Verlust von Ansprüchen einhergeht, etwa auf Waisenpension oder Mindestsicherung. Das war ein Grund, warum auch die Eltern nicht so hinter der finanziellen Selbstständigkeit der Kinder gestanden sind, wie wir es für eine Lobby-Arbeit gebraucht hätten. Es müsste gewährleistet sein, dass jemand, der es im regulären Arbeitsverhältnis nicht schafft, zurück in das bestehende System kann.

Hängt das nicht auch mit einer teilweisen Überbehütung der Kinder zusammen?

Nußbaumer: Das gibt es zum Teil immer noch. Für die nächste Generation ist es jedoch völlig klar, dass man ein Kind mit Behinderung, wenn es erwachsen ist, in seine Freiheit entlässt, wo immer diese dann sein mag. Da hat sich viel verändert.

Ein Thema, das Sie ebenfalls bewegt hat, war die Abtreibung behinderter Kinder. Hat sich die Einstellung dazu geändert?

Nußbaumer: Nicht wirklich, und ich beiße, was das betrifft, weiterhin auf Granit. Ohne eigene Betroffenheit glaubt man niemandem, der sagt, das Leben ist auch mit einem behinderten Kind schön. Und ich finde kein Mittel, anderen begreiflich zu machen, wie sehr wir an diesen Kindern hängen, wie tief unsere Liebe ist. Die Skepsis hängt vielleicht damit zusammen, dass wir früher häufig gejammert haben. Das tut die heutige Generation nicht mehr. Das ist auch wichtig für die Akzeptanz in der Gesellschaft.

Was würden Sie sich für die Zukunft der Lebenshilfe wünschen?

Nußbaumer: Meine Vision wäre, dass irgendwann einmal ein Mensch mit Behinderung als Präsidentin oder Präsident an der Spitze der Lebenshilfe steht.

Zur Person

Gabriele Nußbaumer
Alter: 61 Jahre
Familie: eine Tochter, zwei Enkelkinder
Laufbahn: Juristin, Volksschullehrerin, Gerichtsberichterstatterin, 18 Jahre politisch tätig als Landtagsabgeordnete, Landtagspräsidentin und Landtagsvizepräsidentin, mit Unterbrechung zehn Jahre Präsidentin der Lebenshilfe Vorarlberg

Lesen Sie das ganze Interview in der heutigen Ausgabe der VN

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