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Petra Jens im Interview: "Zufußgehen ist keine Arme-Leute-Mobilität"

Petra Jens will zuerst die "Probleme im Kleinen" lösen.
Petra Jens will zuerst die "Probleme im Kleinen" lösen. ©VIENNA.AT
Mobilität hat immer weniger mit Status zu tun, findet Wiens Fußgängerbeauftrage Petra Jens. Im Interview mit VIENNA.AT verrät sie zudem, warum aus Sicht der Fußgänger entweder Auto- oder Radfahrer als Problem gesehen werden und was nötig ist, damit eine Begegnungszone funktioniert.
Breitere Gehsteige gefordert
Geh-Highways in allen Bezirken
Wiener gehen gerne zu Fuß

Wenn kritisch hinterfragt wird, ob oder warum Wien überhaupt eine Fußgängerbeauftragte braucht, ärgert das Petra Jens überhaupt nicht: “Das ist ganz selbstverständlich, denn dieses Amt ist neu. Außerdem ist das Zufußgehen etwas, das häufig als selbstverständlich betrachtet wird – so wie das Atmen. Trotzdem ist es wichtig, weil es alle betrifft und weil das, was man an Verbesserungen für den Fußverkehr erreicht, etwas ist, das allen Menschen zu Gute kommt”, meint sie im Interview mit VIENNA.AT.

Zu ihren Aufgaben gehört es, auf Probleme aufmerksam zu machen und Kampagnen, die das Zufußgehen als gesunde und umweltfreundliche Art der Mobilität bewerben, voranzutreiben. Bei ihrem Job gehe es jedoch, so betont sie, weniger darum Projekte zu planen und umzusetzen, sondern um Kommunikation und Vernetzung.

Petra Jens leiht Fußgängern Ohr und Stimme

Dabei geht es vor allem darum, ein offenes Ohr für die Anliegen der Fußgänger zu haben. Dabei gebe es jedoch eine Schwierigkeit: “Die Zufußgehenden sind keine homogene Gruppe.” Außerdem wandelt sich die Bedeutung, die dem Gehen zukommt, bzw. hat sich bereits gewandelt: “Man definiert sich weniger über sein Mobilitätsverhalten. Früher war es doch so, dass das Auto einen gewissen Status repräsentiert hat und das Fahrradfahren vielleicht eine gewisse politische Einstellung. Aber das löst sich auf, das kann man ganz klar sehen. Und das Zufußgehen ist keine Arme-Leute-Mobilität, es wird vielmehr auch als etwas Entspannendes gesehen”, so Jens.

Sie berichtet von Managern, die zu Fuß ins Büro gehen und dadurch entspannter und glücklicher in den Tag starten und weist auch darauf hin, dass “das Schöne am Gehen” auch einen wichtigen Stellenwert bei ihrer Arbeit einnimmt. Der Slogan “Alle Wege, alle Sinne” kommt nicht von ungefähr. Sie geht selbst in ihrer Freizeit spazieren oder wandern. “In Wien gibt es sehr viele schöne Spazierstrecken”, findet sie. “Mir persönlich gefallen besonders die, die am Wasser sind.” Eine Sammlung beliebter Routen findet man online hier.

Problemstellen in Wien: Ampeln, Autos und Radfahrer

“Bei einer aktuellen Studie zum Thema Zufußgehen in Wien ist herausgekommen, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die gerne zu Fuß gehen, viel zu Fuß gehen und das auch bewusst machen – für die ist vor allem der motorisierte Verkehr ein Problem. Bei der Gruppe, die eher wenig oder selten zu Fuß geht, für die sind Radfahrende das Problem”, erklärt die Fußgängerbeauftragte.

Auch wenn Radfahrer als Problem genannt werden, betont sie, dass die Zusammenarbeit mit dem Radverkehrsbeauftragten eng sei und es dabei um gemeinsame Interessen gehe und nicht darum, die Interessen der Fußgänger gegenüber den Radfahrern durchzusetzen. “Mobilität im Umweltverbund (Anm. Gehen, Radfahren und öffentlicher Verkehr) zu stärken” sei das gemeinsame Ziel.

“Ein großes Thema sind auch immer die Ampeln.” Interessant dabei: Kurze Grünphasen stellen aus Sicht der Fußgänger eher ein Problem dar als lange Rotphasen. “Das ist ein Punkt, an dem derzeit gearbeitet wird: Hinweise auf 130 Ampeln habe man bekommen und diese werden nun genau auf Verbesserungspotenzial untersucht.

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 Was ändert die Fußgängerbeauftragte?

Hat sich seit sie das Amt inne hat etwas in Wien verändert? “Es verändert sich insofern, dass die Menschen merken, es gibt jemanden, der ihnen zuhört, in ihrer Eigenschaft als Fußgängerinnen und Fußgänger. Das ist neu, das gab es vorher nicht.” Und auch eine systematische Betrachtungsweise des Zufußgehens seitens der Stadt gab es vorher noch nicht.

Ein Projekt, bei dem sie der Stadt beratend zur Seite steht, ist ein einheitliches Leitsystem, das auf für den Fußverkehr wichtigen Routen implementiert werden soll: “Wir haben für alle Verkehrsarten Orientierungssysteme. Auf der Autobahn wird man geleitet, auch im öffentlichen Verkehr, da wird man perfekt geleitet, auch der Radverkehr hat so etwas wie ein Orientierungssystem. Beim Fußverkehr gibt es das nicht, bzw. ist das ziemlich aufgesplittert: In der Innenstadt gibt es das für den Tourismus, in machen neuen Stadtteilen oder größeren Siedlungen wird das gemacht, aber eigentlich gibt es in Wien kein einheitliches Leitsystem für den Fußgänger.” Welches diese wichtigen Routen sind, ist derzeit noch in Ausarbeitung und zwar in Abstimmung mit den Bezirken. Es gibt aber bereits jetzt Positivbeispiele, etwa die Bezirke 6 und 9.

Mariahilf und Alsergrund als Vorbilder

“Es gab vor einigen Jahren schon ein Pilotprojekt, einen genderfreundlichen Bezirk. Das war Mariahilf. Die haben sich sehr früh Gedanken darüber gemacht, dass es geschlechtsspezifische Verhaltensweisen in der Mobilität gibt. Männer fahren mit dem Auto und mit dem Rad, Frauen fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und gehen zu Fuß. Und man hat dabei auch festgestellt, dass Frauen komplexere Wegeketten haben als Männer, dass sie mehrere Dinge auf einmal verbinden. Und diese Wegeketten hat man sich in Mariahilf genauer angeschaut und dann über die Jahre auch kontinuierlich auf der Straße Verbesserungen gemacht”, erläutert Petra Jens. Auch im neunten Bezirk sei man “sehr aktiv”: “Dort wurden eigene Wege geschaffen, die man nur zu Fuß passieren kann. Also im neunten Bezirk kann man sich über größere Strecken auf einem eigenen Fußwege-Netz bewegen, ohne dass man über befahrene Straßen muss. Das ist recht ungewöhnlich.”

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Umgang mit Begegnungszonen muss gelernt werden

Der Aspekt der Barrierefreiheit ist für die Arbeit der Fußgängerbeauftragten wichtig. Als Beispiel nennt sie die Begegnungszonen, von denen es in Wien bislang erst eine auf der Mariahilfer Straße gibt: In einer Begegnungszone gibt es keine Ampeln mehr, für viele blinde Menschen stellen aber die akustischen Ampelsignale eine wichtige Hilfe bei der Orientierung dar. Ihr Team sucht nun nach einer Lösung, was man machen kann, “damit blinde Menschen sich auch zurecht finden und dort sicher fühlen.”

Generell sieht sie in den Begegnungszonen einen Paradigmenwechsel: “Wir sind es in Wien gewohnt, dass alles sehr reguliert ist, alles sehr vorgegeben ist. Die Begegnungszone nimmt alle Verkehrsteilnehmer mehr in die Verantwortung. Sie schafft auch durch die Gestaltung der Straße ein gewisses Unsicherheitsgefühl: Wenn man mit dem Auto in eine Begegnungszone kommt, fühlt man sich zunächst einmal irritiert und als Gast. Auch das trägt dazu bei, den Verkehr zu verlangsamen und die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Für Zufußgehende ist es von Vorteil, weil sie dort Vorrang haben. Fußgänger haben Vorrang, sie können die Straße überall queren. Das heißt aber nicht, dass sie nicht aufmerksam sein müssen. Dadurch dass nicht jeder einen festgelegten Pfad hat – Gehsteig, Radweg, Parkspur, Fahrgasse – sondern man sich die Fläche gleichberechtigt teilt, bleibt dann für den Einzelnen mehr Platz übrig.” Für monotone, lineare Strukturen hat Petra Jens wenig übrig.

Wichtig für das Funktionieren von Begegnungszonen sei die Gestaltung: “Es sollte keinen Niveauunterschied geben, keine Gehsteigkanten, keine Abgrenzung, keine Barriere und keine durchgehende Parkspur – alle parallel verlaufenden Strukturen bilden so etwas wie eine Fahrgasse, wo man dann das Gefühl hat, man könnte sicherer schnell fahren.” (SVA)

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